Was ist Wald-Erdbeere?
Wald-Erdbeere (Fragaria vesca var. vesca) ist die leckere kleine Verwandte, aber entgegen landläufiger Meinung nicht die Stammpflanze unserer Garten-Erdbeere. Die Gattung umfasst insgesamt zwölf Arten ausläuferbildender Stauden, die in lichten Wäldern, auf Wald- und Wegrändern Europas, Asiens und Nordamerikas vorkommen. Sie alle gehören zur Familie der Rosengewächse (Rosaceae).
Es handelt sich dabei um ausdauernde krautige Pflanzen, die mit ihren verlängerten kriechenden Ausläufern eine Höhe von nur 5-15 Zentimetern erreicht. Unterirdisch wurzelt das kleine Pflänzlein bis zu einem halben Meter tief. Die hellgrünen Blätter stehen in einer grundständigen Rosette und sind dreiteilig gefingert. Die Endfieder ist bei dieser Art kaum einen Millimeter lang gestielt; alle Fiederblättchen haben einen keilförmig verschmälerten Grund, deutliche Blattnerven und einen gesägten Rand. Die Blüten sind fünfzählig mit doppelter Blütenhülle, zwittrig und sternförmig, mit einem nur auf der Außenseite behaarten Kelch. Die Kronblätter sind rund und strahlend weiß, um den eigentlichen Kelch schmiegt sich ein kleiner Außenkelch. Im Inneren stehen 20 kurze Staubblätter und etwa ebenso viele Fruchtblätter.
Bei der anfangs grünen, später gelben und schließlich roten Frucht handelt es sich entgegen dem üblichen Sprachgebrauch nicht um eine Beere, sondern um eine Sammelnussfrucht. Die Nüsschen sind die länglichen gelben Kerne, die man auf der Oberfläche erkennt; die „Beere“ wird aus den fleischig verdickten Fruchtachsen gebildet. Am Blütensatz der Frucht stehen die Kelchblätter ab oder sind zurückgeschlagen.
Wald-Erdbeere im Garten
Standort
Ähnlich wie ihre kultivierte Verwandte möchte die Wald-Erdbeere einen frischen und nährstoffreichen, nicht allzu basenarmen und milden bis mäßig sauren, humosen Lehmboden – gerne auch steinig oder sandig. Sie steht am liebsten in der Sonne oder im Halbschatten und mag es weder besonders trocken noch extrem feucht. Trockene Böden führen zu kleineren und weniger saftigen Früchten. Saure Böden verträgt sie, aber ein alkalischer pH-Wert lässt sie wesentlich besser gedeihen. Die Pflanzen sind vollkommen winterhart.
Schnitt
Schneiden ist nicht notwendig, es sei denn man möchte die Ausläufer zur Vermehrung versetzen.
Vermehrung
Die Vermehrung der Wald-Erdbeere erfolgt mit Samen und vegetativ mithilfe der reichlich gebildeten Stolonen. Die Aussaat erfolgt im Frühjahr bei Temperaturen von 13-18 °C.
Verwendung
Die kleinen Wald-Erdbeeren sind nicht nur bei Kindern beliebt, sie sind mit ihren schönen Blättern und hübschen weißen Blüten auch dekorativ an Wegrändern, im Kräutergarten oder am Rand von Rabatten. Sie sind gute Bodendecker, deren Blattwerk in milden Wintern erhalten bleibt. Auf Balkonen und Terrassen lassen sie sich in Kästen, Töpfen oder Ampeln anpflanzen.
Schädlinge
Leider sind die Pflanzen recht empfindlich und werden häufig von Spinnmilben und anderen tierischen Interessenten heimgesucht. Die Blätter zeigen öfters Pilzerkrankungen wie Blattflecken oder Mehltau und andere Welkekrankheiten.
Ökologie
Die Wald-Erdbeere wird von Insekten bestäubt; eine Selbstbestäubung verhindern die Pflanzen, indem die Fruchtknoten vor den Staubbeuteln reifen. Der Nektar ist leicht zugänglich, sodass sich hier neben Honigbienen, Hummeln und Wildbienen auch Schmetterlinge, Käfer und Fliegen einfinden. Sogar Ameisen besuchen die Blüten, um sich am süßen Saft gütlich zu tun.
Den Pollen holen sich 14 Wildbienen, vor allem Sandbienen (Andrena spec.) und Schmalbienen (Lasioglossum spec.). Als Raupenfutter verwenden insgesamt fünf Schmetterlingsarten das Kraut, darunter auch der Tagfalter Gewöhnlicher Würfeldickkopf (Pyrgus malvae).
Die Verbreitung der Samen übernehmen Tiere, die sich an den Beeren gütlich tun und die unbeschadeten Samen wieder ausscheiden. Dazu gehören Vögel, Kleinsäuger, aber auch Insekten wie Käfer. Auch Ameisen tragen sie in ihren Bau und bringen die Nüsschen als Abfall wieder ans Tageslicht.
Die Blätter sind auch bei Huftieren wie Schafen und Ziegen beliebt.
Wissenswertes
Die reifen Beeren des Wildobstes enthalten bis zu zehn Prozent Zucker und schmecken wesentlich aromatischer als die der Garten-Erdbeere; die Farbe kommt durch Anthocyane zustande. Im Wald blüht die Erdbeere wohlweislich rechtzeitig vor dem Laubaustrieb, bevor das Blattwerk ihr die Sonne wegnimmt.
Als Wildfrucht wurde sie bereits in der Steinzeit gesammelt, und in der Antike war sie äußerst beliebt. Ovid, Plinius und Vergil schwärmen von ihr in den höchsten Tönen. Die ersten größeren Erdbeerbeete wurden im Mittelalter angelegt; hier galt die Wald-Erdbeere als häufig verwendete Heilpflanze, deren Früchte und Blätter zur Herstellung von Tee, Tinkturen und Salben diente. Aber auch als Dekoration waren sie beliebt: historischen Rechnungen zufolge wurden 1368 in den königlichen Gärten des Louvre 12.000 Walderdbeeren gepflanzt.
Hildegard von Bingen zählt zu den wenigen AutorInnen der medizinischen Schriften dieser Zeit, in denen die sonst äußerst beliebten Früchte eher schlecht wegkommen: in ihrer Physica warnt sie ausdrücklich vor übermäßigem Genuss. Matthiolus hingegen empfiehlt die Blätter als wundheilendes und harntreibendes Mittel, Pfarrer Kneipp die Blätter zur Blutreinigung. Erdbeerblätter enthalten Gerbstoffe, Flavonoide und Anthocyane und kommen in der Naturheilkunde noch heute bei Durchfall und anderen Verdauungsproblemen zum Einsatz.
Erst mit dem Aufkommen der Garten-Erdbeere, die eine Kreuzung großfrüchtiger amerikanischer Sorten darstellt, verschwand der Anbau der Wald-Erdbeere in der Bedeutungslosigkeit. Unter der Bezeichnung Monatserdbeeren sind heute zahlreiche Sorten im Handel erhältlich, die nicht nur als Fruchtlieferanten, sondern auch als Zierpflanzen eine Rolle spielen. Die meisten davon bilden weit weniger Ausläufer als die Wildform und beschränken sich stattdessen auf einen reichhaltigeren Blütenansatz. Die Varietät ‚Variegata‘ zeichnet sich durch graugrün-cremeweiß gefärbte Blätter aus.
Was sind mehrjährige Stauden?
Mehrjährige Stauden bleiben über viele Jahre erhalten. Den Winter überdauern sie eingezogen in Wurzeln, Zwiebeln oder anderen unterirdischen Speicherorganen und treiben im nächsten Frühjahr wieder aus.
Markus Wichert
Naturgärtner