Was ist Weiße Silberwurz?
Weiße Silberwurz (Dryas octopetala), oft einfach nur als Silberwurz bezeichnet, gehört zu den Rosengewächsen (Rosaceae) und gilt als typische Pflanze der Alpen. Darüber hinaus findet man den in Gärten immer beliebter werdenden Zwergstrauch auch in anderen Gebirgsregionen der Nordhalbkugel von Europa über Asien bis nach Grönland. Sie ist fester Bestandteil der Flora oberhalb der Waldgrenze und wächst bei uns wild in einer Höhe zwischen 1200 und 2500 Metern auf Matten, Almen, Stein- und Kalkmagerrasen, Moränen und Felsschutt, meistens in größeren Herden.
Die ausdauernden und bis zu 100 Jahre alt werdenden Zwergsträucher der Weißen Silberwurz wachsen gerne gesellig; sie erheben sich nur eine knappe Handbreit in die Höhe. Unterirdisch sorgt das weit verzweigte Wurzelsystem mit einer zentralen Pfahlwurzel und dicken faserigen Wurzeln auch in flachgründigen Böden für feste Verankerung. Die Triebe werden bis zu zwei Meter lang und kriechen weithin über den Boden. Ausgehend von einem kräftigen verholzten Stamm breitet sich das reich verzweigte Astwerk in der Umgebung aus und schlägt dort neue Wurzeln – die einzelnen Kurztriebe werden nur 2-10 Zentimeter lang.
Ihre ledrigen immergrünen, 3-4 Zentimeter langen Blätter stehen beinahe zweizeilig; sie sind elliptisch geformt, 1-2 Zentimeter lang gestielt mit einem Eichenblatt-ähnlich kerbig gezähnten und leicht eingerollten Rand, schief rundem oder herzförmigem Grund, dunkelgrüner Oberseite und weißfilziger Unterseite. Auf der Oberseite fallen die deutlich eingetieften Adern auf, und am Grunde des Blattstiels stehen 6-8 Millimeter lange Nebenblätter. Die Reste des Blattgrundes bleiben oft einige Zeit erhalten, bis sie zusammen mit der Ringelborke abgestoßen werden.
Aus den Blattachseln entspringen im Sommer einzelne, 2-4 Zentimeter breite schüsselförmige Blüten an 5-10 Zentimeter langen, drüsig behaarten Stängeln. Von weitem erinnern die stets nach oben weisenden Blüten an Anemonen wie das Busch-Windröschen. Ungewöhnlich für Rosengewächse: Sie weisen jeweils 7-9, meistens aber acht grüne breit-lanzettliche Kelchblätter mit zahlreichen Drüsenhaaren und ebenso viele weiße und verkehrt-eiförmige Kronblätter auf, und sogar gefüllte Blüten sind nicht selten. In der Mitte stehen zahlreiche kahle gelbe Staubblätter.
Die behaarten Stängel wachsen nach dem Verblühen munter weiter und tragen dann einen unverkennbaren knäuelig-flauschigen Fruchtstand, den man wegen seiner charakteristischen Form oft als Fruchtperücke bezeichnet. Die Frisur besteht aus den auf 2-3 Zentimeter verlängerten, schraubig gedrehten Griffeln, die mit langen fedrigen und weißen Haaren besetzt sind. Als eigentliche Fortpflanzungseinheiten dienen die darin versteckten Achänen.
Weiße Silberwurz im Garten

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Standort
Die Weiße Silberwurz braucht einen frischen bis mäßig trockenen, durchlässigen basenreichen und vorzugsweise kalkhaltigen Stein- und Felsboden; dieser braucht nur wenig Humus und Feinerde und darf auch ruhig recht flachgründig ausfallen. Sie steht am liebsten in der Sonne, die aber nicht den ganzen Tag prall darauf scheinen sollte, gerne auch im Halbschatten; im dunklen Schatten vegetiert sie vor sich hin. Wie es sich für eine Alpenpflanze gehört ist Dryas octopetala gehörig winterhart: Temperaturen unter -45 °C nimmt sie gelassen hin.
Schnitt
Schneiden und viel Pflege braucht die ausgesprochen robuste und dankbare Silberwurz eigentlich nicht. Meistens reicht es vollkommen aus, wenn Du abgestorbene Anteile vorsichtig entfernst und ansonsten nur darauf achtest, dass sie sich nicht zu sehr breit macht. Mitunter kannst Du einer Nachblüte im August auf die Sprünge helfen, indem Du die abgeblühten Blütenstängel regelmäßig abschneidest.
Vermehrung
Silberwurz kaufen? Am besten eine mit Ballen – so wächst sie am zuverlässigsten an. Kopfstecklinge von den oft an vielen Stellen wurzelnden Ausläufern kann man problemlos machen, aber oftmals sind diese etwas mäkelig, wenn es um neu bewurzeln geht. Teilen geht oft deutlich zuverlässiger. Die Samen sind Dunkelkeimer und Kaltkeimer, die man bereits im Herbst zentimetertief eingraben sollte, sodass sie eine Kältephase mitbekommen.
Tipp zum Bewurzeln von Stecklingen der Silberwurz: Von Spätsommer bis Herbst schneiden und nie senkrecht in die Erde stecken, sondern grundsätzlich ziemlich flach und schräg!
Verwendung
Mit ihrer geringen Höhe und den langen Trieben ist die Weiße Silberwurz ein Musterexemplar für einen niedrig bleibenden Spalierstrauch. Als Bodendecker für einen eher trockenen Steingarten, zur Bepflanzung von Steinhaufen, Mauern und Böschungen und als Randhecke um Rabatten ist sie geradezu unschlagbar. An steilen Hängen bewährt sie sich als Bodenfestiger. Im Steingarten lässt sich Silberwurz mit fast allen Pflanzen gut kombinieren, etwa mit Glockenblumen, Nelken oder Schleierkraut.
Schädlinge
Schädlinge wird man bei der extrem robusten Dryas octapetala so selten finden wie Krankheiten. Noch nicht einmal die gefräßigen Schneckenkönnen sich mit dem Grün anfreunden, und selbst Blattläuse und andere Plagegeister tauchen hier bestenfalls versehentlich auf.
Ökologie
Ideal angepasste Pionierpflanze
Gut an ihren Standort angepasst ist die Silberwurz mit ihren sonderbaren kleinen „Stämmen“: Bei denen ist die Unterseite dicker als die Oberseite, und das weiße weiche Holz ist extrem elastisch. So kann die unkaputtbare Pionierpflanze selbst rollendem Schutt, scharfem Sand und eisigen Schneestürmen trotzen, den lockeren Untergrund festigen und anderen Pflanzen die Ansiedlung erleichtern. Auf Steinschuttböden und im abgeschwemmten Flusskies findet man die Weiße Silberwurz oft als Pionierpflanze, die mit wenig Erde gut zurechtkommt.
Wasser sparen und Nährstoffe organisieren
Für Nährstoffe sorgt sie mittels ihrer Wurzelknöllchen, in denen Aktinomyceten leben und Stickstoff und Nährstoffe im Gegenzug für Zucker aus der Photosynthese bereitstellen. Die Pilze erleichtern zudem die Aufnahme des an felsigen Standorten oft knappen Wassers. Auch die eingerollten und weißfilzigen Blätter helfen beim Wasser sparen – dazu sind auch die Spaltöffnung nach innen verlagert, sodass selbst bei Trockenheit und praller Sonne nur möglichst wenig Wasser verloren geht. Verdunstungsschutz und Kälteschutz bieten auch die alten Blätter, welche die bereits im Vorjahr angelegten Knospen von neuen Blättern und Blüten im Winter umhüllen.
Nationalblume Islands
Mit ihrer Genügsamkeit hat die Weiße Silberwurz die Gebirgsregionen der Nordhalbkugel erobert; in Mitteleuropa findet man sie in weit entfernten Gebieten wie etwa den Alpen, Pyrenäen und dem Kaukasus. Im Norden Schwedens beherrscht sie zusammen mit Flechten und Moosen die ausgesprochen karge Tundra, und auf Island bildet ganze Heideflächen – so markant, dass sie seit 2004 als isländische Nationalblume gilt.
Relikt der letzten Eiszeit und Namensgeber für das Dryas-Zeitalter
Die getrennten Areale lassen sich darauf zurückführen, dass Dryas octopetala noch in der Eiszeit im kalten Norden von Amerika, Europa und Asien verbreitet vorkam und sich erst mit dem Schmelzen der Gletscher zurückzog. Wärmeres Klima und reichlicheres Nährstoffangebot förderten die Ausbreitung konkurrenzstärkerer Pflanzen, sodass sich der Überlebenskünstler nur in den kargen Zonen der Gebirge halten konnte. Sogar die Fossilien haben sich als ausgesprochen zäh erwiesen – man findet so viele Blätter, Früchte und sogar guterhaltene Blüten in den eiszeitlichen Tonablagerungen, dass man von Dryaszeit oder Silberwurzzeit und Silberwurzflora spricht. Die Fossilfunde zeigen, dass die Silberwurz die Geröllhalden der schmelzenden Gletscher als eine der ersten Pflanzen besiedelte.
Bestäubung und Verbreitung
Die Bestäubung der Blüten erfolgt durch eine Vielzahl von Insekten, aber auch eine Selbstbestäubung ist möglich. Mit den zahlreichen Drüsenhaaren auf den Kelchen hält die Silberwurz ungebetene Gäste vom Inneren der Blüten fern. Für das Kraut als Raupenfutter interessiert sich auch ein Nachtfalter, das polyphage Alpen-Widderchen (Zygaena exulans), das ebenso wie die Silberwurz als typisch für die Geröllfluren oberhalb der Waldgrenze gilt. Übrigens das einzige mitteleuropäische Widderchen, das in diesen extremen Höhenlagen (bis über 3000 Meter) vorkommt.
Die Verbreitung der Samen übernimmt der Wind, der die Fruchtperücken gerade an felsigen Standorten über weite Strecken davonträgt. An den Achänen interessierte Vögel und Kleinsäuger helfen beim Zerzupfen.
Wissenswertes
Acht statt fünf Blütenblätter und griechische Nymphen
Der Artname octapetala weist auf die bei Rosaceen ungewöhnliche Zahl von ausnahmsweise nicht fünf Blütenblättern hin: mit acht Kronblättern bedeutet das sinngemäß auf griechisch. Der Gattungsname leitet sich von den Dryaden der griechischen Mythologie ab, den Baumgeistern der Eichen – Carl von Linné bezog sich damit in seiner Erstbeschreibung auf die eichenblattähnlichen Blätter der Silberwurz.
Preisverdächtig!
Ein Synonym für Dryas octopetala ist Dryas caucasia, unter der man sie bisweilen im Gartenfachhandel bekommt. Als pflegeleichte Charakterpflanze von Steingärten hat sie den Award of Garden Merit der Royal Horticultural Society gewonnen.