Was ist Ausdauerndes Bingelkraut?
Ausdauerndes Bingelkraut oder Wald-Bingelkraut (Mercurialis perennis) ist ein häufiger und äußerst geselliger Bewohner krautreicher Buchen- und Nadelmischwälder, der auch in Säumen und Gebüschen von Eichenwäldern, mit Eschen bestandenen Auwäldern und auf Hochstaudenfluren der Alpen bis in eine Höhe von 1.800 Metern vorkommt. Man findet das mehrjährige Kraut in Eurasien bis an den Kaukasus und in Nordafrika; es gehört zur Familie der Wolfsmilchgewächse (Euphorbiaceae), weist aber genau wie die Gattung Ricinus keinen Milchsaft auf.
Wald-Bingelkraut weist ein langes, dünnes und kriechendes Rhizom mit deutlich verdickten Knoten und einen einfachen, stielrunden bis scharf zweikantig geflügelten Stängel auf, in dessen unterem Anteil lediglich ein paar Schuppenblätter stehen. Häufig sind diese mit den beiden dreieckigen Nebenblättern verschmolzen, sodass sie dreilappig erscheinen. Weiter oben befinden sich gegenständige, 4-12 Zentimeter lange lanzettliche bis oval-lanzettliche Stängelblätter, die immer doppelt bis dreimal so lang wie breit sind und eine dunkelgrüne Farbe mit bläulichem Schimmer aufweisen. Der Blattstiel misst 5-25 Millimeter, der Blattrand ist stumpf gesägt. Beim Zerreiben riechen sie unangenehm, und beim Trocknen verfärben sie sich blauschwarz. Die ersten Triebe erscheinen, sobald die Außentemperaturen 5 °C überschreiten.
Das zweihäusige Ausdauernde Bingelkraut bildet in den oberen Blattachseln kugelig-büschelige Ähren mit männlichen oder weiblichen Blüten auf verschiedenen Pflanzen. Typischerweise sind die Blätter bei den Weibchen im oberen Teil des Stängels konzentriert, bei männlichen Exemplaren gleichmäßig verteilt. An den männlichen Pflanzen erscheinen die Blüten 2-3 Wochen nach dem Austrieb, bei den weiblichen nach 2-4 Wochen.
Die Blüten sind unscheinbar und bis auf drei oder vier winzige Tepalen auf das Äußerste reduziert, bestehen also sonst nur aus den grünlichen zwei- bis dreikammerigen Fruchtblättern oder 8-28 Staubblättern mit gelben Staubbeuteln ohne schützende Hülle. Bei den weiblichen Blüten übernehmen zwei verkümmerte Staubblätter die Funktion von Nektarien.
Durch Amine riechen die Blüten unangenehm fischartig. Als Früchte werden 6-8 Millimeter breite und 3-5 Millimeter lange, borstig behaarte Kapseln mit jeweils einem Samen in jedem der zwei oder drei Fächer gebildet. Die hellgrauen runden bis ovalen Samen sind 2,5-3,5 Millimeter groß, grau mit einer warzigen Oberfläche und einem weißen Elaisosom. Die reifen Samen werden im Juli und August abgeworfen. Im September beginnen die Blätter des Wald-Bingelkrautes zu verwelken.
Ausdauerndes Bingelkraut im Garten

Quelle: Tomasz Klejdysz/shutterstock.com
Standort
Das Ausdauernde Bingelkraut wächst am besten auf einem sickerfrischen, nährstoff- und basenreichen, mild bis mäßig sauren humosen Lehmboden, der gerne kalkhaltig und steinig oder sandig sein darf. Er sollte gut durchlässig sein. Das Kraut bevorzugt Schatten oder Halbschatten, in der prallen Sonne verbrennt es schnell.
Schnitt
Ein Schneiden oder sonstige Pflegemaßnahmen sind beim Ausdauernden Bingelkraut nicht erforderlich.
Vermehrung
Ausdauerndes Bingelkraut breitet sich mithilfe seiner reichlich gebildeten Ausläufer sowie mit Samen aus. Am einfachsten gelingt die vegetative Vermehrung – einfach ein Stück ausgraben und an anderer Stelle wieder einpflanzen. Willst Du Dein Glück mit den Samen versuchen: Sie sind im Juli und August reif und können dann für die Aussaat geerntet werden. Eine einzelne Pflanze produziert etwa 30 Samen.
Verwendung
Im Garten kommt das Bingelkraut gut unter Hecken und Gehölz oder unter Bäumen zur Geltung – wie an seinen natürlichen Standorten auch. Mit seiner Vorliebe für schattige Standorte gibt es dort einen schönen Bodendecker, der sich schnell in seiner Umgebung ausbreitet und dichte teppichartige Bestände bildet.
Schädlinge
Die meisten Schädlinge und Krankheiten hält sich das Bingelkraut mit seinen Giftstoffen vom Leib. Eine Ausnahme machen die beiden hochspezialisierten Pilze Aschotya mercurialis und Synchytrium mercurialis, die zu gelben Flecken an den Pflanzen führen und sie zum Absterben bringen können. Als Monophage sind auch der zwei Millimeter große schwarzblaue Waldbingelkraut-Erdfloh (Hermaeophaga mercurialis) und der Fransenflügler Thrips fulvipes auf das Bingelkraut angewiesen. Ansonsten wird die äußerst robuste Pflanze nur selten krank oder von Fressfeinden heimgesucht.
Ökologie
Die Bestäubung der nackten Blüten übernehmen der Wind und Insekten, und beim Ausbleiben der Helfer findet auch Selbstbestäubung statt. Dementsprechend werden große Mengen Pollen produziert, und die Griffel sind überaus klebrig. Der fischartige Geruch sorgt dafür, dass sich vor allem Fliegen einfinden.
Für die Verbreitung der Samen sorgen Ameisen, die sich für das fleischige weiße Elaiosom interessieren, mitunter auch Nagetiere wie Mäuse. Zudem können die Samen geraume Zeit schwimmen und werden von Wind und Regen davongetragen.
Als Raupenfutter nutzt die Gelbfleck-Waldschatteneule oder Purpurglanzeule (Euplexia lucipara) das Ausdauernde Bingelkraut; ihre Raupen sind vorwiegend nachtaktiv und verpuppen sich nach Überwinterung im Erdreich.
Wegen der zahlreichen Ausläufer und schnellen vegetativen Vermehrung findet man ungewöhnliche Häufungen von männlichen und von weiblichen Pflanzen, keine bunte Mischung wie bei vielen getrenntgeschlechtlichen Kräutern normalerweise üblich. Durch das klonale Wachstum treten große eingeschlechtliche Teppiche mit bis zu 500 Trieben pro Quadratmeter auf.
Bisweilen wird der Einfluss des Bingelkrautes auf die übrige Flora der Krautschicht von Wäldern diskutiert, da es mit seinen großen Blättern den Boden verschattet und mit seinen dichtwachsenden Teppichen das Aufkommen weniger konkurrenzstarker Mitbewohner behindern soll. Andererseits reagiert das Wald-Bingelkraut recht empfindlich auf Eingriffe, denn einmal getreten und abgeknickt werden in diesem Jahr keine neuen Blüten gebildet. Dementsprechend ist eine intensive forstwirtschaftliche Nutzung für die natürlichen Bestände unzuträglich.
Wissenswertes
Die Gattung der Bingelkräuter
Wo es ein Ausdauerndes Bingelkraut gibt, gibt es auch ein Einjähriges Bingelkraut: Mercurialis annua unterscheidet sich vom Wald-Bingelkraut durch einen vierkantigen verzweigten Stängel und einen in der Blütezeit sitzenden Fruchtknoten. Noch seltener als diese beiden ist das Eiblättrige Bingelkraut (Mercurialis ovata) mit sitzenden eiförmigen Blättern, kurz gestieltem Fruchtknoten und mehreren kleinen Blättern im untersten Anteil des Stängels. Das Wald-Bingelkraut ist mit Abstand die bei uns häufigste Art.
Giftpflanze und Heilpflanze
Das Ausdauernde Bingelkraut ist wie die meisten Wolfsmilchgewächse giftig, auch wenn es selbst ungewöhnlicherweise nicht den typischen Milchsaft bildet. Wie schon Paracelsus sagte, die Menge macht, dass ein Ding ein Gift sei: In kleinen Dosen verwendet man das Kraut seit Menschengedenken als Heilpflanze. Der Legende nach soll der heilkundige Gott Merkur den Menschen das verraten haben – Anlass genug für Carl von Linné, die Pflanze ihm zu Ehren Mercurialis zu nennen. Das Art-Epithethon perennis bedeutet ausdauernd, ebenso wie bei der meist gebräuchlichen deutschen Bezeichnung.
Junge oder Mädchen?
Dioskurides beschrieb, dass schwangere Frauen mit Bingelkraut in Wein getrunken Frauen das Geschlecht der Nachkommenschaft beeinflussen können: der Saft weiblicher Pflanzen soll mehr Mädchen, der Saft männlicher Exemplare mehr Knaben bringen. Ausprobieren sollte man das heutzutage lieber nicht mehr.
Bingelkraut als Färbepflanze
Aus den Blättern und Wurzeln des Bingelkrautes lässt sich ein blauer Farbstoff gewinnen, der an Indigo erinnert. Als Chromogen fungiert das Piperidinalkaloid Hermedin, das sich an der Luft blau verfärbt und mit Alaun im Gewebe fixiert werden kann. Allerdings ist die Farbe wenig lichtecht und reagiert empfindlich auf Säuren und Basen.
Was sind mehrjährige Stauden?
Mehrjährige Stauden bleiben über viele Jahre erhalten. Den Winter überdauern sie eingezogen in Wurzeln, Zwiebeln oder anderen unterirdischen Speicherorganen und treiben im nächsten Frühjahr wieder aus.
Markus Wichert
Naturgärtner