Was ist Speierling?
Speierling, Spierling, Sperberbaum oder Sperbe (Sorbus domestica) ist ein sommergrüner, mittelhoher und tiefwurzelnder Baum aus der Familie der Rosengewächse (Rosaceae). Es ist in Mitteleuropa von Ostspanien über Frankreich, Italien und den Balkan bis in die Türkei und zur Krim sowie in Nordwestafrika beheimatet. In Deutschland wächst er nur zerstreut und selten verwildert, vorwiegend in den Weinbaugebieten von Rhein, Mosel und Nahe. Häufig findet man ihn in sommerwarmen und eher trockenen Eichen-Hainbuchen-Wäldern und oft in Gesellschaft mit Mehlbeere, Kornelkirsche und Schneeball.
Im blüten- und fruchtlosen Zustand kann man den Speierling leicht mit der nahe verwandten Eberesche (Sorbus aucuparia) verwechseln. An exponierten Standorten bildet er oft eher zwei bis drei Meter hohe Sträucher als einen richtigen Baum. Bei kleinen Bäumen ist die Krone pyramidenförmig, im Alter wird sie zusehends breit und säulenförmig. Seine Borke ist schuppig und graubraun, ähnlich wie bei einem Birnbaum. Die jungen Zweige sind anfangs weiß und kurz behaart, später verkahlen sie; ihre Farbe ist olivgrün bis rotbraun und dicht mit großen länglichen Korkwarzen überzogen. Die länglich-eiförmigen und zugespitzten Winterknospen werden 12-15 Millimeter lang; sie sind klebrig und kahl mit wenige Härchen an der Spitze. Gegen Ende des Jahres bekommen die Blätter eine prächtige gelbe bis rote Herbstfärbung, bevor sie abfallen.
Die wechselständig stehenden Blätter des Speierlings sind unpaarig gefiedert, mit 13-21 Fiederblättern von 3-6 Zentimeter Länge und zwei Zentimeter Breite. Typisch ist der im unteren Drittel glatte Rand, wohingegen das obere Drittel mit länglichen Zähnchen versehen ist. Auf der Oberseite sind diese mattgrün und kahl, auf der Unterseite heller und an den Blattnerven behaart. Der Blattstiel misst 3-5 Zentimeter, die Spreite bis zu 20 Zentimeter.
Im Mai erscheinen die wohlriechenden Blüten in Kegelrispen an den Kurztrieben am Ende der Zweige. Jeder der bis zu 10 Zentimeter breiten Blütenstände enthält 35-75 einzelne Blüten; diese sind 16-18 Millimeter breit, fünfzählig mit doppelter Blütenhülle, sternförmig und zwittrig. Die dreieckigen Kelchblätter liegen auf einem weißfilzigen Blütenbecher und werden von den 5-7 Millimeter langen weißen Kronblättern weit überragt. Im Gegensatz zur Eberesche sind sie meist rötlich überhaucht.
Aus der Blüte schauen 20 cremeweiße Staubblätter und meist fünf Fruchtblätter mit ihren Griffeln und Narben hervor. Alle Fruchtblätter sind rückseitig miteinander und unten mit dem Blütenbecher verwachsen. Sie bilden pro Rispe nur wenige rundliche, apfel- oder birnförmige Früchte, die 2-3 Zentimeter groß werden. Von Grün wechselt die Außenfarbe zu Grünlichgelb mit einer rotbackigen Sonnenseite, im überreifen Zustand werden sie braun und mehlig. Im Inneren liegt das an Steinzellen reiche Fruchtfleisch mit einem Kerngehäuse, in dem sich 1-4 eiförmige braune Samen befinden. Reif werden die Früchte im September und Oktober.
Speierling im Garten
Standort
Der Herzwurzler braucht wegen seines tiefreichenden Wurzelsystems viel Platz nach unten; der Boden sollte mäßig trocken bis frisch und nährstoff- und basenreich sein, basisch bis höchstens schwach sauer und Kalk enthalten. Speierling bevorzugt Ton- oder Lehmboden und einen sonnigen bis halbschattigen Stand. Licht und Wärme sind unbedingt wichtig. Daher sollte man ihn bevorzugt als Einzelgänger platzieren, zumal er wenig konkurrenzstark ist. Staunässe ist tödlich, wohingegen ihm längere Trockenphasen im Sommer nichts ausmachen.
Im Winter ist erweist sich der Speierling als vollkommen frosthart, nur junge Bäumchen sollte man in den ersten Jahren nach dem Pflanzen mit etwas Laub auf der Baumscheibe schützen. Überhaupt ist der Speierling vor allem als Jungbaum schwierig, wohingegen ein alter und gut etablierter Baum sich als außerordentlich robust gegen alle Ungemach erweist. Entsprechend sollte man in den ersten Jahren den Grund auch immer etwas feucht halten und sich lieber erst später auf die legendäre Trockenverträglichkeit verlassen.
Schnitt
Ein Verpflanzen sollte man bei älteren Exemplaren unterlassen, denn das vertragen die Bäume nur sehr schlecht. Auch beim Schneiden sollte man sich eher zurückhalten und nur die alten und vertrockneten, bestenfalls auch überkreuzende Äste entfernen. In der Regel braucht der Speierling keine pflegerischen Maßnahmen, nur ab und zu etwas frischen Kompost nimmt er dankbar zur Kenntnis.
Vermehrung
Die Samen des Speierlings keimen erst, wenn das Fruchtfleisch verfault oder durch einen Verdauungstrakt gewandert ist, denn die Frucht enthält keimhemmende Substanzen. Sie sind Kaltkeimer und brauchen einen Frost zur Keimung. Grünstecklinge gelten als heikel, da sie meist nicht besonders gut wurzeln. Sich selbst vermehrt der Speierling mit Hilfe seiner Wurzelbrut; daher sind Wurzelschnittlinge die beste Form der vegetativen Vermehrung.
Meist wird man lieber auf kleine Bäumchen aus der Baumschule zurückkommen, da der Speierling eher gemütlich wächst und die Keimlinge Jahre brauchen, bis sie zu stattlichen Bäumen heranwachsen. Bis sie zum ersten Mal Früchte tragen dauert es oft bis zu zwanzig Jahren. Die im Handel erhältlichen Speierlinge sind oft besonders großfrüchtige Arten, die man auf einen Stamm der Wildform gepfropft hat.
Verwendung
Die schönen Bäume machen sich im Garten am besten als Solitäre; mit ihren dekorativen Blättern, Blüten und Früchten und ihrer Herbstfärbung bieten sie einen attraktiven Blickfang selbst im blattlosen Winter. In einem naturnahen Garten ist er mehr als reine Deko, denn er gilt als gutes Vogelschutzgehölz und reichhaltige Bienenweide, und auch für die Früchte finden sich reichlich Liebhaber.
Schädlinge
Eigentlich ist der Speierling sogar noch etwas robuster als seine Verwandten Mehlbeere und Vogelbeere, aber wie diese hat er bisweilen mit Spinnmilben und Feuerbrand zu kämpfen. Gallen an den Blättern sind auf Gallmilben zurückzuführen, an den Ästen auf Obstbaumkrebs durch den Pustelpilz Neonectria ditissima. Blattläuse sind vor allem an den jungen Blättern und Blüten Dauergäste, schaden den Pflanzen normalerweise aber nicht nachhaltig. Bei jungen Bäumen muss man auf Wühlmäuse achten, die sich gerne an den Wurzeln zu schaffen machen, und gegebenenfalls auch vor Wildverbiss durch Kaninchen schützen.
Ökologie
Die Blüten des Speierlings bilden reichlich Nektar, von dem vor allem Bienen, Falter und Schwebfliegen Gebrauch machen. Trotzdem werden Früchte meist ohne Bestäubung gebildet; im Vergleich zum reichhaltigen Besuch entstehen davon ohnehin nur vergleichsweise wenige. Leider ist das oft eine reine Notwendigkeit, denn Speierlinge in der unmittelbaren Umgebung sind so selten, dass eine Fremdbefruchtung eher die Ausnahme bleibt.
Die Früchte des Speierlings sind nicht nur für den Menschen interessant, sondern vor allem auch für hungrige Vögel. Sie machen sich mit Vorliebe über das reife Obst her, gerne auch im Winter, wenn es überreif ist und schon einen Frost abbekommen hat. Zudem bietet der Speierling reichlich Platz zum Verstecken und Nisten. Vögel sind auch die Hauptausbreiter, denn die Samen passieren den Verdauungstrakt unbeschadet und keimen erst nach dieser Prozedur so richtig. Nicht minder interessiert sind Kleinsäuger. Die selten gewordenen Dachse lieben die Speierlingsfrüchte ganz besonders und tragen ebenfalls zur Verbreitung der Speierlingssamen bei.
Wissenswertes
Der Speierling ist bereits seit der Antike im Mittelmeerraum in Kultur und wurde bereits von antiken Authoren wie Theophrast und Columella erwähnt. Die Römer waren es auch, die den Baum in Mitteleuropa weit verbreiteten. Karl der Große empfiehlt seinen Anbau in der Landgüterverordnung Capitulare de villis ausdrücklich. Kein Wunder also, dass der Speierling im Mittelalter zu einer weit verbreiteten Kulturpflanze avancierte.
Dabei hatte man es auf das harte Holz und vor allem auf die Früchte abgesehen. Essen kann man sie erst, wenn sie überreif sind und eine mehlig-breiige Konsistenz haben; dann sind sie oft braun und fleckig und nach heutigen Ansrüchen nicht mehr besonders schön anzuschauen. Man kann sie aber sehr gut mit anderen Früchten mischen und daraus Marmelade, Saft und sogar Schnaps herstellen. In Konfitüre und Gelee liefert er reichlich festigendes Pektin, und Speierlingsschnaps ist ein extrem seltener und entsprechend teurer Obstbrand. Er erinnert entfernt an einen guten fruchtigen Grappa; Speierlingsbrand kommt häufig aus Schwarzwald oder Elsass.
Wesentlich beliebter als zum Verzehr waren die gerbstoffreichen Speierlingsfrüchte als Zusatz im Apfelwein. Das hat sich insbesondere im für seinen Äppelwoi und Bembel bekannten Frankfurter Raum bis heute gehalten. Ein Zusatz von etwa einem Prozent Speierlingsaft macht das Getränk wesentlich haltbarer und sorgt für eine besondere geschmackliche Extranote.
Darüber hinaus waren die „Schmerbirnen“ auch ein beliebtes Heilmittel, das in den Kräuterbüchern des Mittelalters ausführlich beschrieben wurde. Man verwendete den adstringierenden und gerbstoffhaltigen Saft vor allem für Magen-Darm-Erkrankungen.
An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen: Je nachdem ob diese eher an Äpfel oder an Birnen erinnern unterscheidet man die botanische Form Sorbus domestica f. pomifera, im Handel auch als Sorte ‚Malifera‘ (beides sinngemäß Äpfel tragend) und Sorbus domestica f. pyriformis oder Sorte ‚Pyriformis‘, sprich birnenförmig.
Im antiken Griechenland legte man die zerteilten Früchte des Speierlings ein. Sie dienten im Symposium von Platon als Vorlage für die Erzählung des Aristophanes. Mit den halbierten Kugelmenschen beschreibt er die Liebe als Suche nach der verlorengegangenen Hälfte.
Meistens werden die Bäume um die 150 Jahre alt, mit einem 50-60 Zentimeter breiten Stamm; besonders alte Exemplare von 300-400 Jahren weisen Stammdurchmesser von über einem Meter auf, sind aber extrem selten. Im französischen Saargemünd (Sarreguemines) steht im Staatswald Buchholz ein Baum von über dreißig Meter Höhe, einem Stammumfang von über 60 Zentimetern und einem geschätzten Alter von etwa 200 Jahren. Das angeblich größte Exemplar wurde 1900 von dem ansässigen Gärtner H. Massé aus L‘Hermenault bei Petit-Châtenay beschrieben und fotografiert – allein in einer Heidefläche stehend hatte der Cormier géant einen Meter über dem Boden einen über eineinhalb Meter dicken Stamm und war schon zu dieser Zeit innen hohl, aber immer noch alljährlich reich an Früchten. Man vermutet, dass er mittlerweile einem Blitzschlag zum Opfer gefallen ist, da er sich nicht mehr auffinden lässt (https://www.biodiversitylibrary.org/item/197178#page/742/mode/2up).
Überhaupt ist der Speierling selten geworden in Deutschland; er vermehrt sich nur spärlich selber und wird im Gegensatz zu früher nur noch selten kultiviert. Insbesondere der Rückgang der früher üblichen Streuobstwiesen hat zu seinem Rückgang beigetragen. Er gilt als eine der seltensten Baumarten in Deutschland und wurde 1993 zum Baum des Jahres gewählt. Noch gilt er als nicht vom Aussterben gefährdet, steht aber vielerorts bereits auf der Vorwarnliste. Gegen konkurrenzstärkere Arten wie Buchen kann sich der langsam wachsende Baum nicht durchsetzen – ein schweres Manko bei der heutigen Waldwirtschaft. Wer einen naturnahen Garten pflegt und einem bedrohten Vertreter der einheimischen Pflanzenwelt einen Unterschlupf gewähren möchte, erweist mit dem Pflanzen eines Speierlings auch den Tieren in seinem Garten einen großen Gefallen.
Speierlingsholz ist schwer und dauerhaft, mit geringem Schwund, mittlerer Härte und hoher Biegsamkeit. Beliebt ist es vor allem zum Drechseln und für die Holzschnitzerei, aber auch für Werkzeuggriffe, Lineale und Mühlräder. Wegen seiner Widerstandsfähigkeit wurde es früher auch bevorzugt für den Bau von Keltern für das Auspressen von Weintrauben und Äpfeln verwendet; das erklärt zusätzlich die Verbreitung des Speierlings in den alten Weinbaugebieten.
Der botanische Name des Speierlings kommt aus dem Lateinischen, wo der Baum sorbus genannt wurde. Die Römer sollen ihn aus dem aramäischen zardasa übernommen haben. Das Art-Epitheton domestica bedeutet so viel wie domestiziert oder angebaut. Der althochdeutsche Name lautete sperwa, später sperboum. Mit dem Vogel Sperber hat hat der Sperberbaum also nichts zu tun.