Kleine Unterschiede, große Wirkung – die Kraft der genetischen Vielfalt

Genetische Vielfalt, was ist das eigentlich?

Vorab, Genetik ist ein hochkomplexes Thema das weder von mir noch von sonst jemandem in einem kurzen Artikel umfassend beschrieben werden kann. Daher ist auch dieser Artikel weder vollständig noch kann er alle Aspekte der Genetischen Vielfalt beschreiben.
Ziel ist es, dem weniger im Thema vertieften Menschen ein Grundverständnis für die Bedeutung der genetischen Vielfalt nahe zu bringen, zu verstehen helfen was man im eigenen Garten tun kann und was man warum nicht tun sollte, bzw. was die beste Alternative ist. Das schließt eine stark vereinfachte Darstellung und gewisse Ungenauigkeiten ein.
Genetische Vielfalt bezieht sich nicht auf eine möglichst große Vielfalt von Arten, sondern vielmehr auf den genetischen Code den jeder Organismus in sich trägt innerhalb einer Art. Genetische Vielfalt bezeichnet also das Vorliegen voneinander abweichender genetischer Informationen bei Individuen derselben Art. Der in diesen Codes enthaltenen Bauplan ist innerhalb einer Art überwiegend gleich. Diese Gleichheit bestimmt z.B. den Körperbau, die Organfunktionen, die Sinnesorgane und viele über die ganze Art immer gleichen Ausprägungen.
Um es ganz trivial zu sagen:
Er bestimmt z.B. dass der Mensch zwei Arme und zwei Beine hat. Immer und überall auf der Welt.
Daneben sind im Bauplan aber auch Teile enthalten, die nicht bei allen Menschen gleich sind. Beispielsweise die Haarfarbe oder die Hautfarbe. Solche Codes sind vererbbar und können an Nachkommen weitergegeben werden.
Der genetische Code, bzw. dessen Vielfalt, ist gleichsam Triebfeder der Evolution. Neben den etablierten Informationen gibt es auch solche, die nur bei sehr wenigen Exemplaren einer Art vorhanden sind und die sie von ihresgleichen unterschieden machen. Wenn so ein Unterschied sich positiv auf die Fortpflanzung und Verbreitung auswirkt und über mehrere Generationen weitergegeben wird, kann daraus nach Jahrhundertausenden eine neue Art entstehen. In kürzeren, aber immer noch sehr langen, Zeitabständen können sich daraus z.B. auch Resistenzen gegen Krankheiten oder Parasiten entwickeln. Oder, und das ist der eigentliche Knackpunkt, es entwickeln sich genetische Stämme, auch autochthone Stämme genannt, die nur in einem bestimmten Gebiet oder Lebensraum vorkommen. Das ist dann der Fall, wenn sich eine Art in einem abgeschiedenen oder ganz speziellen Lebensraum genau an die dortigen Lebensbedingungen angepasst hat.
Das muss keine Insel sein. Es kann ein abgeschiedenes Tal sein, eine geografische Region ganz bestimmte geologische oder meteorologische Bedingungen, Konkurrenzbedingungen, spezielle Fressfeinde oder Bestäuber. So kommt es z.B., dass eine Pflanzenart im Tiefland im Mai blüht, im Hochland aber erst im Juni oder Juli. Und natürlich haben sich die Bestäuber auch an die Gegebenheiten angepasst.
Jetzt könnte man meinen, die genetische Vielfalt einer Art dadurch zu erhöhen, dass man Arten aus allen Regionen in ganz Deutschland verbreitet. So würde man ja auch die genetischen Codes verteilen. Die Sache hat aber einen gewaltigen Haken.
Genetische Informationen sind unterschiedlich dominant bei der Vererbung. Durch eine Vermischung können sich dominante Informationen dann überall durchsetzen und die weniger dominanten können verschwinden. Die Folge ist ein genetischer Einheitsbrei. Die verschwundenen Informationen sind nicht nur ein extremes Hemmnis für die Evolution, sondern können auch eine ganze Art zum aussterben bringen. Das auftreten einer neuen Krankheit oder Parasiten, aber auch den Klimawandel, kontert die Evolution mit Anpassung. Einige autochthone Bestände einer Art haben vielleicht das genetische Potential für eine solche Anpassung, andere nicht. Hat sich überall der genetische Einheitsbrei durchgesetzt und dem fehlt dieses Potential, kann ggfs. Eine ganze Art dahin gerafft werden, also aussterben.
Nun sind die meisten Gärtner keine Genetiker und haben auch nicht die Möglichkeit den genetischen Bauplan einer Art zu untersuchen.Was also können die dann machen? Und genau hier landen wir bei einem der Knackpunkte des Naturgartens, der Verwendung von regionalem Saat- und Pflanzgut. Denn das bietet die größte Sicherheit, genetisches Material aus der Region zu verbreiten und keines aus einem ganz anderen Gebiet mit anderen Informationen. So stellt man z.B. auch sicher dass der Blühzeitpunkt einer Pflanze mit dem Flugzeitpunkt der passenden Spezialisten zusammen passt und nicht die Pflanze schon blüht, während die Spezialisten noch in der Puppenwiege schlummern. Oder halt umgekehrt.
Wie gesagt, das alles ist stark vereinfacht dargestellt und dient nur dem Verstehen der Bedeutung von genetischer Vielfalt und dem Zusammenhang mit regionalem Saatgut.

Noch was zum nachlesen wer sich tiefer damit befassen möchte:

https://www.biologischevielfalt.at/biodiversitaet-in-oesterreich/chm-arten/gen-vielfalt
https://www.nw-fva.de/forschen/genetische-vielfalt
https://mahdgut.naturschutzinformationen.nrw.de/mahdgut/de/fachinfo/floren

Ralf Dahlheuser