Die Nektar-Legende

Eine interessante Ausführung zum Thema Nektar von Ralf Dahlheuser (interviewt in der NaturaPost #18).

Ralf widmet sich seit über 50 Jahren der Erforschung von Insekten und Pilzen und ist ein so genannter „Feldentomologe und -mykologe“.

Was ist das, "Nektar"?

Nektar ist neben Ambrosia die Hauptnahrung der Götter. Da diese aber unsterblich sind, brauchen wir uns um die im Sinne der Arterhaltung zum Glück keine Sorgen zu machen  

Ansonsten ist Nektar schlicht eine wässrige Lösung die neben verschiedenen Zuckerarten auch Mineralien und Duftstoffe enthält. 

Nektar hat die Aufgabe, Insekten zum Blütenbesuch zu verführen wo sie den Pollen der Blüten aufnehmen, zur nächsten Blüte tragen und so die Befruchtung vornehmen. 

Einige, die wenigsten, Insekten brauchen Nektar zur Aufzucht ihrer Larven. Meist vermischt mit Pollen wird er eingetragen, in Waben oder Löchern verstaut und dienen den Larven als Nahrung. Bestens bekannt ist das von der Honigbiene, die als domestiziertes Nutztier von Menschen gehalten, betreut und "abgeerntet" wird. Die Wildform der Honigbiene ist hier längst ausgestorben, verdrängt von den gezüchteten Hybriden der Imker und ohne Belang für unsere Ökosysteme.

Für den allergrößten Teil der Insekten ist Nektar jedoch nur Treibstoff. Sie benötigen ihn um z.B. den energieaufwendigen Vorgang des Fluges zu bewerkstelligen. Logischerweise ist um so mehr Treibstoff notwendig, je länger und kräftezehrender die Flugaktivitäten sind.

Ist Nektar unverzichtbar?

Ganz klares "Jein".

Unsere Natur ist durch ein sehr schwankendes Nektarangebot geprägt. 

Ein eher mageres Angebot im Frühjahr wird von einer üppigen Blütenfülle im Frühsommer abgelöst und versiegt dann zum Herbst hin immer mehr, erlischt in den Wintermonaten schließlich fast gänzlich. Unsere Insekten sind daran hervorragend angepasst.

Wir erinnern uns, die für Insekten wichtigen Bestandteile des Nektars sind Zucker und Mineralien.

Beides wird aber durchaus nicht nur von Blüten erzeugt. Im Herbst beispielsweise produzieren Früchte und Beeren Zucker, ebenso wie Baumsäfte die aus Wunden austreten. Manche Pflanzen scheiden Nektar nicht (nur) aus den Blüten aus, sondern auch aus Blattachseln und anderen Pflanzenteilen. Faulende, vergärende Früchte sind sehr reich an Zucker und ersetzen oder ergänzen den Blütennektar für alle später erscheinenden Arten. 

Mineralien nehmen Insekten auch von Kot, Aas oder aus feuchter Erde auf. Selbst unsere eleganten Schmetterlinge sind sich dabei nicht zu schade, auf einem Scheißhaufen oder einem stinkenden Fisch zu landen und dort genüsslich die mineralreichen Flüssigkeiten zu schlürfen.

Landen Schmetterlinge auf unseren unbedeckten Körperteilen, so liegt das nicht an einer Seelenverwandtschaft oder gar einer Befähigung als Insektenflüsterer, sondern schlicht und einfach an den in unserem Schweiß enthaltenen Mineralien bei gleichzeitigem fehlen oder versagen eines Deodorants.

OK, aber was bedeutet das denn nun bezüglich der Wichtigkeit des Nektars für unsere Insekten?

Dazu muss man sich dem Lebenszyklus der Insekten widmen. 

Als erstes kann man festhalten, dass Nektar für alle Insekten die Ihre Brut damit aufziehen oder auf andere Weise Brutfürsorge betreiben, lebenswichtig ist. 

Zum einen, eben weil die Larven (auch) den Nektar brauchen, zum anderen, weil diese Insekten meist eine aufwendige Brutfürsorge leisten, also recht lange brauchen bis sie genügend Nahrung zusammengetragen und gebunkert haben, und daher auch viel Treibstoff für sich selbst benötigen. 

Hier stehen unsere Wildbienen und Hummeln an erster Stelle. Diese jedoch haben im Spätsommer die Nachkommenschaft versorgt. Zum Herbst hin sind nur noch ganz wenige Arten auf Nektar zur Sicherung der Arterhaltung angewiesen.

Schmetterlinge und andere Insekten, die allermeisten jedenfalls, sind generell gar nicht so sehr auf Nektar angewiesen wie wir immer glauben. Der Grund ist evolutionär bedingt. 

Insekten sind in erster Linie Opfer von Prädatoren

Das bedeutet, sie müssen ihre Aufgabe der Fortpflanzung sehr schnell erledigen, bevor sie als Vogelfutter enden oder einem anderen Prädator zum Opfer fallen.

Bereits die Raupen der Schmetterlinge z.B. legen nicht nur Reserven für die Zeit der Puppenruhe an, sondern gleichsam auch für zumindest eine Überbrückungszeit als späteres Imago. Das führt sogar so weit, dass viele fertige Schmetterlinge gar keine Nahrung mehr aufnehmen oder gar verkümmerte Mundwerkzeuge haben.

Bereits kurz nach dem Schlupf strömen die Weibchen ihre Pheromone aus und werden meist innerhalb kürzester Zeit begattet. Oft noch an dem Ort, an dem sie geschlüpft sind.
Die Männer sind dann, hinsichtlich der Arterhaltung völlig bedeutungslos, dienen quasi nur noch als Nahrung für Prädatoren. Natürlich begehen sie dann keinen Suizid, sondern leben noch eine Zeit weiter und nehmen Nektar zu sich. Aber wie gesagt, für die Arterhaltung spielt das keine Rolle. 
Die Weibchen müssen nun so schnell wie möglich die Eier in ihrem Körper reifen lassen und die an einem geeigneten Ort/Pflanze ablegen. Auch das geschieht sehr schnell, meist innerhalb zwei/drei oder wenig mehr Tagen. Selbst die Weibchen von Arten, die Nektar aufnehmen, schaffen es meist auch ohne diesen, fertige Eier zu entwickeln und abzulegen.

Es ist ungleich wichtiger, dass die Imagos die geeigneten Futterpflanzen für die Eiablage finden, als Blüten. Dazu gehört dann auch ein möglichst vielfältiges Angebot an Gräsern, die sehr viele Insektenlarven ernähren.

„Ganzähriges Blühangebot schaffen“

Man liest sehr oft hinsichtlich der Pflanzen von "Insektenmagneten", "Blühwiesen", "Blütentempeln", "Nektarspendern", "Blütenpatenschaften" und ähnlichem, was eine sehr hohe Bedeutung von Blüten und Nektar für Insekten generell suggeriert. 

Und leider wird das auch oft bei der Anlage und Pflege vieler Naturgärten übernommen. 

Dem ist nicht so, denn für die allermeisten Insekten sind Futterpflanzen für die Larven/Raupen wesentlich wichtiger als Nektar. Diese ganzen Blühflächen und Randstreifen mit "Insektenmagneten" wie Phacelia, Klatschmohn, Sonnenblume und anderen Blütenpflanzen sind nicht wirklich sinnvoll im Kampf gegen das Insektensterben. 

Sie bieten Treibstoff, der für die meisten entbehrlich ist, aber keine Nahrung für die Larven/Raupen der Tankstellenbesucher. Natürlich ziehen Blütenpflanzen Insekten an, keine Frage. Aber um es despektierlich aber nicht unwahr zu erläutern, das tut ein toter Strauch, mit Rotwein/Zuckergemisch getränkten Lappen garniert, auch. 

Blütenpflanzen sind schön für unsere Augen und das beobachten der Insekten, die diese Pflanzen besuchen, erfreut uns alle. Und ein bunter Garten ist kein Verbrechen, sondern durchaus legitim. Aber das ist eben nicht geeignet um dem Insektensterben entgegen zu wirken.

Der Garten ist m.M. nach nicht nur für die Insekten da, muss nicht komplett auf Nutzen für Insekten getrimmt sein. Er soll auch uns selbst gefallen und uns eine Freude bringen. 

Sei es als Quelle für selbstgezogenes Obst und Gemüse, oder eben für unser Auge und zum wohlfühlen. 

Jedoch, auch das ist zu bedenken, endet unser direkter Einfluss zwar am Gartenzaun, nicht aber die Verantwortung für das, was aus unserem Garten entweichen kann.

Dem "Blümchenwahn" und den "Bienenweiden" sollten wir kritisch gegenüberstehen, insbesondere bei den greenwashing - Aktionen der Landwirtschaft und oft auch der öffentlichen Hand. 

Im eigenen Garten tun ein paar Quadratmeter Wildwuchs nicht weh, ist aber eine sehr sinnvolle Ergänzung für die "Tankstellen".