Sigrid Tinz

Sigrid Tinz

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Interview

Heute stellen wir euch Sigrid Tinz vor. 

Sigrid ist Diplom-Geoökologin und arbeitet seit 20 Jahren freiberuflich als Journalistin und Buchautorin zu allen Themen rund um Garten, Natur, Artenvielfalt und Umweltschutz. Außerdem gibt sie Seminare für Jung und Alt, liest vor Publikum aus ihren Büchern und postet auf Instagram unter @kraut_und_buecher regelmäßig tolle Fotos und interessante Tipps für Naturliebhaber und alle, die es werden wollen. 

Beim Gärtnern kommt es für sie weniger auf tolle Tomaten oder preiswürdige Staudenbeete an, sondern dass ihr grünes Wohnzimmer Lebensraum für die heimische Tier- und Pflanzenwelt ist. Sigrid hat schon viele Gärten bewohnt, große und sehr kleine. Seit diesem Jahr ist sie stolze Pächterin einer Kleingartenparzelle: eine ehemalige Schafweide mit Obstbäumen, die nicht mehr bewirtschaftet wird und in drei Parzellen aufgeteilt wurde.

Sigrid, du bist nun dabei, deinen sechsten Garten zu übernehmen. Du hast in der Vergangenheit schon viel ausprobiert. Hast du nun bei der Planung und Gestaltung eine gewisse Routine?

Sigrid: Ja und nein. 

Es waren ja jedes Mal ganz unterschiedliche Gärten. Und Lebenslagen, auch was Finanzen angeht. Im Studium habe ich mir rund um die Treppe im Hinterhof meines Mietshaus gesammelte Sommerblumen gesät und dort dann gesessen und gelernt. 

Dann hatte ich eine Wohnung mit Balkon und Kind. Auf dem Balkon hatte ich alles untergebracht, was wir brauchten und liebten: Frühblüher und Rosen, Kräuter und Sandkasten und einen Mini-Miniteich. 

Dann kam der eigene Garten, den ich so geplant hatte, dass er sich von der nackten mit zerwühlter Bauplatzerde bedeckten Fläche in einen Lebensraum verwandelte, mit Blüten, Sträuchern, Totholzhaufen. Mit Platz für Kinder, Hund, Katze und Wildtiere. 

Sigrid Tinz

Jetzt sind die Kinder größer und groß. Ich wohne wieder in der Großstadt und habe das unter meinen Fittichen, was die Hausverwaltung nicht „Garten“, sondern „Stück zwischen Haus und Straße“ nennt.  Da habe ich erst mal Bodenvlies entfernt und den Schotter wieder zum Leben erwecken müssen, aber jetzt wächst Lavendel und Rosen, der Rasen ist mit Sommerblumen gesprenkelt und alles ist voll mit Heuschrecken und Vögeln und dieses Jahr hatte ich jede Menge Wespenspinnen. 

Und, genau, seit Kurzem bin ich auch Kleingärtnerin. Da ist noch nicht viel außer den Obstbäumen. Erstmal haben wir den Schafstall abgerissen, gerade sind wir dabei die Laube zu bauen. Und dann mal sehen. Direkt Routine habe ich nicht. Aber Vertrauen, dass es schon was werden wird mit dem grünen Wohnzimmer für mich und die Tierwelt – und dass es jedes Mal anders wird als ich es mir so gedacht habe. Aber gut.

Sigrid Tinz

Der neue Garten im Urzustand

Wie gehst du vor?

Sigrid: Ich schaue erstmal, was da ist. Also so richtig mit Plan und Liste und mit Maßband, Stift und Lineal; ich guck auch das Drumherum. Nebenan ist eine riesige Eiche und auf der anderen Zaunseite ein Mirabellenbaum. Und dann liste ich auf, was ich auf jeden Fall haben will. 

Für mich gehören Holunder und Ebereschen und andere Wildsträucher dazu, Wildrosen und Kräuter. Kräuter hat man nie genug, da bin ich ein bisschen wie andere Menschen mit Schuhen. Kompost, klar. Dann Totholzhaufen für die Tiere, Platz für Sommerblumen und um im Garten zu sitzen. 

Der Garten ist eher feucht und ziemlich gut gedüngt durch die Schafe und durch die vielen Bäume immer mal schattig  - das wäre auf die Schnelle die Standortanalyse. Das könnte man auch sorgfältiger machen. Aber da bin ich eher schlampig. Manches wächst dann halt nicht so gut und anderes besser. Zum Glück wächst immer was. 

Worauf achtest du bei der Pflanzenauswahl?

Sigrid: Dass sie heimisch sind und ich nehme am liebsten die Wildform. Wegen der Insekten natürlich, weil viele auf bestimmte Arten angewiesen sind und außerdem in fluffig gefüllt gezüchteten Blüten keine Nahrung finden. Aber auch weil das so einfach und pflegeleicht ist. 

Ich liebe Gärten, aber auf Gießen und Düngen und Päppeln und womöglich solche Sachen wie im Herbst Dahlien ausbuddeln und einwintern habe ich überhaupt keine Lust. 

Du sagst, im aktuellen Großstadtgarten wächst Lavendel. Lavendel ist meines Wissens nach keine heimische Pflanze und bedient keine einheimischen, spezialisierten Insekten. Das passt ja dann nicht so ganz, oder? 

Das stimmt ein bisschen. Aber erstens liebe ich den Duft von Lavendel und daraus Tee oder Badeszusätze zu machen, oder Büschel davon in den Kleiderschrank zu legen. Für mich ist er tatsächlich eher Nutzpflanze. Und pflegeleicht finde ich ihn außerdem. 

Hast du noch weitere Lieblingsblumen, die unbedingt in den Garten müssen? 

Sigrid: Absolut. Mein Lieblingsspruch ist: Wenn du nur eine Pflanze in deinen Garten setzen dürftest, welche wäre das und warum wäre es Mohn? Egal welchen übrigens: Staudenmohn, Klatschmohn, Saatmohn. Das schöne ist, dass er sich immer wieder aussät, wenn er offene Stellen findet. Da unser Hund sehr gerne buddelt, haben wir davon reichlich. 

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Mohn, Mohn, Mohn – wenn es nur eine Blume im Garten geben könnte, dann diese.

Und Schneeglöckchen brauche ich, und Disteln und Karden und alles was Dolden hat und auch schön aussieht, wenn es verblüht ist. Efeu auch. Das ist jetzt im Herbst immer der Hammer, wenn es blüht und alles voll ist mit Bienen, Hornissen, Wespen, Schmetterlingen, Marienkäfern, Schwebfliegen, Schnecken, Spinnen und Wanzen. Ich kann das stundenlang anschauen – und anhören. Da ziehe ich mir gerade Ableger für Strauch-Efeu. Das rankt nicht mehr und ist von Anfang an im Blühalter. Ach, und Giersch wäre fein. Das ist mein Zaubermittel gegen Mückenstiche und Eichenspinnerattacken. 

In einem deiner Bücher „Nahrungsnetze für Artenvielfalt“ hat du wunderbare Grafiken zu unterschiedlichen Nahrungsnetzen. Darunter auch die Beziehungen von Fressen und gefressen werden auf einer Streuobstwiese, die ehemals auf dem Land deines neuen Kleingartens anzutreffen war. Erklär doch mal, was du genau mit Nahrungsnetzen meinst.  

Sigrid: Der Untertitel ist ja ein Buch vom Fressen und Gefressen werden und das ist eigentlich die Grundlage vom Leben und Leben lassen. Alles hängt miteinander zusammen und zwar nicht so eins zu eins wie wir das manchmal denken. 

Ein gutes Beispiel sind die Blattläuse:
Blattläuse saugen an Pflanzen. Der Mensch will seine Pflanzen lieber ohne Läuse haben. Also sind Blattläuse eklig und schädlich – und müssen weg. Gift nehmen nur die wirklich Unbelehrbaren, man weiß mittlerweile, das schädigt auch die Bienen. Aber weg müssen die Läuse schon, also werden sie abgewischt oder mit Öl und Seifenlauge erstickt. Noch aufgeklärtere Zeitgenossen wissen, dass es auch hilft, Marienkäfer, Florfliegen, Vögel und andere Blattlausfresser in den Garten einzuladen, sodass diese »Nützlinge« die »Schädlinge« bekämpfen. Dabei sind Blattläuse und ihre Eier das Fressen vieler Tiere. Wer Blattläuse vernichtet, nimmt allen anderen ihre Nahrungsgrundlage weg – und zwar nicht nur der Spinne oder dem Ohrenkneifer, der Blattläuse frisst. Sondern auch denen, die Spinnen oder Ohrenkneifer fressen und so weiter. Am Ende hat dann der Igel zu wenig Speck für den Winterschlaf. 

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Pflanzen sterben übrigens nicht am Lausbefall, die Läuse breiten sich auch nicht unkontrolliert aus und befallen am Ende alle Pflanzen im Garten. Es geht keiner Art um Vermehrung im Sinne von immer mehr werden und am Ende die ganze Welt beherrschen. Es geht immer nur darum, sich fortzupflanzen, um die Art zu erhalten. Die rasante Vermehrung von Blattläusen zum Beispiel ist als Futter für viele andere Lebewesen eingepreist. Aber wir sehen nur die Rosen und Bohnen und ekeln uns. 

Unser Wissen über Nahrungsnetze und Biodiversität ist vielleicht in etwa auf dem Stand, wie die Menschheit astronomisch zu den Zeiten von Kopernikus und Galilei dachte. Die Erde ist eine Scheibe und der Mittelpunkt des Universums. Der gesunde Menschenverstand hatte keinen Grund zu der Annahme, es könnte anders sein. Die Vorstellung, auf einer sich rasend schnell drehenden Stein-Feuer-Kugel zu wohnen, die sich mit Tausenden und Millionen anderen in einer ewigen Weite bewegt, ist mit dem Verstand auch tatsächlich heute noch schlecht zu fassen. Wir wissen es einfach, weil die Wissenschaft es bewiesen, erklärt und dargestellt hat und Astronauten Fotos gemacht haben. Und wir lächeln über die naiven Menschen, die damals stur ans Falsche weiterglaubten und dachten, der Himmel könnte ihnen auf den Kopf fallen. 

In einigen hundert Jahren wird die Menschheit vielleicht über uns lächeln, über das, was unser gesunder Menschenverstand und unsere beschränkten technischen Möglichkeiten uns vermittelt haben: Der Mensch ist die Krone der Schöpfung und der Mittelpunkt des Universums der Natur. Und dass es richtig ist, Blattläuse auf Zierblumen zu vernichten. 

Okay – aber was heißt das konkret?  Wie wirst du versuchen, diese Netze aufzugreifen?

Sigrid: Erstmal in dem ich möglichst alles so lasse wie es ist. Vieles was man als Mensch so macht, verschlimmbessert es ja eher. 

Ich denke mir dann immer, was hätten wir wohl zu Zeiten der Dinosaurier gemacht, wenn es uns schon gegeben hätte? Wer weiß, T-Rex und Brontosaurus in den Zoo gesteckt und für sie Schutzgebiete ausgewiesen, die kleinen Felltiere – die ersten Säugetiere, die es auch schon gab – bekämpft, damit sie den Dinos nicht in die Quere kämen. Das Sterben der Saurier hätte das nicht aufgehalten, aber die Ausbreitung der Säugetiere vielleicht verhindert. Dass die mal die Arten der Zukunft sein würden, konnte man da ja nicht ahnen. 

Was ich machen werde: Nistkästen aufhängen. 

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Vogelarten wie Meisen, Kleiber oder Spatzen brüten am liebsten in Höhlen. Je weniger alte Bäume es gibt, die solche Höhlen haben, desto mehr freuen sie sich über Nistkästen.

Meine Obstbäume sind zu jung, als dass sich Baumhöhlen bilden könnten, in denen Fledermäuse, Spechte und andere Tiere wohnen könnten, wie man es auf der Grafik sehen kann. Und Fallobst werde ich liegen lassen. Nicht alles, aber so dass Wespen und Schnecken und Fliegen und Amseln und Pilze ihren Teil bekommen. Und Admirale. Als ich klein war, kamen im Herbst immer Schwärme zu den Obstbäumen, um sich vor dem Zug nach Süden zu stärken. Das möchte ich wieder erleben. Auch wenn es wahrscheinlich nur einzelne Tiere sein werden. Es gibt einfach nur noch sehr wenige Insekten. 

Hast du schon eine Vision, wie dein Garten aussehen soll? Welche Elemente werden ein Bestandteil sein?

Sigrid: Die vorhandenen Obstbäume prägen die Optik und zwei alte Holunderbüsche sind auch noch da, die Laube haben wir dazwischen gefädelt; die ist eher klein und soll schön bewachsen werden mit Wein und Efeu. Dann gibt es eine Wildrosenhecke und darauf freue ich mich besonders: Einen Gartenteich. Hatte ich bisher noch in keinem meiner Gärten, nur Miniteiche in der Zinkwanne. Als wir den Schafstall abgerissen haben, sind wir auf Molche gestoßen und auf Frösche. Dann Stachelbeeren, Johannisbeeren, Brombeeren, Himbeeren. Und mein Mann möchte Hochbeete und ein Gewächshaus für Gemüse: er liebt Blumenkohl und will ihn selbst anbauen. Soll er

Dann vor allem Totholz, in jeder Form für meine Lieblingsinsekten, die Käfer. 

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Totholz in allen Varianten ist das allerbeste Insektenhotel – nicht nur Käfer fühlen sich hier wohl.

Übrigens ein guter Tipp für alle, die sich am Thema Schnecken abarbeiten: Käfer fördern, vom Glühwürmchen bis zum Laufkäfer, jede Menge Arten fressen Schneckeneier. Ich war schon immer Käferliebhaberin und ich hatte nie Schneckenprobleme in meinen Gärten. 

Das ist dann ja auch alles sehr wildbienenfreundlich – die stehen ja oft im Fokus des naturnahen Gärtnerns. Welche Insekten findest du noch wichtig? 

Sigrid: Libellen und Kamelhalsfliegen oder Langhornmotten oder Skorpionsfliegen, all diese Tierchen, die kaum einer kennt und die aussehen wie aus einer Fantasywelt. 

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Libellen haben wie Bienen und alle Insekten eine wichtige Rolle im Ökosystem; und sind wunderschön.

Und Schnecken sind zwar keine Insekten, werden aber zu Unrecht verteufelt. Und auch keine Insekten, aber großartig sind Spinnen. Spinnen fressen viele Insekten und werden viel gefressen, von Igeln, Vögeln, Fledermäusen. Da wären wir wieder bei den Nahrungsnetzen. Ohnehin sind Spinnennetze einfach ein traumhafter Anblick, vor allem jetzt im Herbst, bei Sonnenaufgang und Morgennebel.

Wo siehst du momentan die größten Hürden für deinen neuen Garten?

Sigrid: In einem Kleingarten muss man sich an die Regeln halten. Was Abstände und Hecken angehet und Nutzpflanzen und Teichgröße. Ich kann nicht einfach drauflospflanzen, das ist ein bisschen wie Sudoku. Aber am Ende werde ich alles unterkriegen, da bin ich sicher. 

Die wirklich größte Hürde ist die Zeit. Ich habe sechs Kinder, vier eigene und zwei Bonuskinder zwischen zwölf und 31 Jahren, einen Hund und eine Katze und zu dem neuen Garten ja auch noch die zwei alten Gärten an meinen zwei Wohnorten, einmal im Münsterland und einmal der hier in Hannover. Ich arbeite viel, schreibe Bücher, Texte, gebe Workshops und Lesungen und bin viel unterwegs. Grundsätzlich bin ich kein Kontrollfreak bin, aber beim Garten irgendwie schon. Kaum gucke ich nicht hin, sind die Grashalme mit den Wespenspinnenkokons abgemäht oder so was. Da mache ich es doch lieber alles selbst. Aber am Ende wird alles gut und wenn es nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende.

Heute erscheint dein neues Buch „Mein Garten – mehr Arten“; angekündigt sind 12 Projekte für einen artenreichen und klimafesten Garten. Welches ist dein persönliches Lieblingsprojekt und warum?

Sigrid: Ganz klar das Gartenschläferhäuschen. Weil ich mich in das Tier sowas von verliebt habe. Weil es soo süß ist. Aber auch weil es so ein toller Artenschutzbotschafter ist. Wie ein trojanisches Pferd, mit dem ich hoffe, naturnahes Gärtnern zu fördern. Wer einen Gartenschläfer in den Garten locken will und deswegen solch ein Häuschen aufhängt, muss ihm außerdem viel bieten: jede Menge Insekten und Früchte und wilde Ecken zum Verstecken. Da profitieren dann so viele andere Arten, vom Igel bis zum unbekannten Wurm. Die aber alle wichtig sind. Und ja, Gartenschläfer sind selten und sowieso nicht in ganz Deutschland heimisch. Aber wer weiß, wenn sie auf der Suche nach neuem Lebensraum in einem Garten vorbeikommen, wäre es doch toll, wenn sie sich da wohlfühlen können. Und sonst wird der Nistkasten von anderen genutzt, Siebenschläfern oder Haselmäusen oder von Hummelköniginnen oder Spinnen.

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Das Besondere am Gartenschläferhäuschen: Das Einstiegsloch weist nach hinten. Beim Hochklettern ist es leicht zu finden; Vögel dagegen können ihm so den Platz nicht wegnehmen.

Und zum Schluss für alle die noch weniger Zeit haben als du zum Gärtnern: Was sind deine Top 3 Biodiversitätstipps?

Sigrid: Verblühte Stauden zumindest teilweise stehen lassenstehen lassen. Die Samen sind Vogelfutter und an den Blättern und in den hohlen Stängeln überwintern Insekten. 

Beleuchtung im Garten auf das mindeste reduzieren oder auch mal die gute alte Taschenlampe nutzen, wenn man abends den Müll raus bringt. Weniger Licht gleich mehr Insekten. 

Und Laub liegen lassen wo es nicht unbedingt weg muss. Hilft zum Beispiel den Igeln sehr. Das sind alles Sachen, die weniger Arbeit machen als mehr. Gibt also eigentlich keine Ausreden 

Sigrid Tinz