Oliver Zwirner, sein Beruf Wirtschaftsingenieur, seine Berufung der Naturschutz. Für ihn zählen vor allem messbare Erfolge für die Artenvielfalt. Seit 2012 arbeitet er mit seiner Familie an einem über 3.000 qm großen Naturgarten (www.naturgarten-langenau.de), immer die Verbesserung der Biodiversität im Fokus. Neben Führungen durch den Naturgarten in Langenau bietet er auch Vorträge zu wichtigen Grundlagen des Naturschutzes an. Oliver ist aktiv bei der AG Donaumoos Langenau und dem Naturgarten e.V. sowie Mitglied bei DGaaE, LBV und BUND.
Heute stellen wir euch Oliver vor. Er und seine Familie haben in den letzten Jahren mit ihrem äußerst inspirierenden Gartenprojekt an unterschiedlichen Naturgarten-Wettbewerben (sehr) erfolgreich teilgenommen.
Ihr habt dieses Jahr zum wiederholten Mal den 1. Platz bei „Deutschland summt!“ gewonnen. Wie sieht Euer Naturgartenprojekt aus?
Oliver: Wir gestalten seit 2012 am Ortsrand der Stadt Langenau bei Ulm einen 3.100 qm großen Naturgarten. Nachdem das Grundstück einige Jahre davor noch ein Maisacker war, ist hier außer Löwenzahn fast nicht gewachsen. Also haben wir erst einmal eine Weidegrasmischung angesät (das würden wir heute etwas anders machen) und dann mit dem Biotopbau begonnen.
Heute gibt es Nisthilfen für Wildbienen und Vögel, Totholzbereiche, Teiche, Trockenmauern, Steine, Altgras, Staudenbeete, Sandarium, magere Wildblumenwiesen, offener Erdboden, Benjes-Hecke, Reisighaufen, Wildsträucher-Hecken u.v.m.
Sonnenuntergang im Naturgarten
Da wir unsere Erfahrungen gerne weitergeben besteht unser Projekt aus drei Teilen, die immer Hand in Hand gehen:
Wir setzen Aktionen zur Biodiversität im eigenen Naturgarten in die Praxis um und probieren auch Dinge, wie z.B. unser eigenes Mahdkonzept, aus
Wir messen die Wirksamkeit unserer Maßnahmen, v.a. mittels Insektenmonitoring
Wir teilen unsere Erfahrungen über Website, Blog, Gartenführungen und Vorträge
Was ist an euren Naturgarten-Projekt besonders?
Oliver: Wir möchten, dass die Menschen die biologischen Zusammenhänge verstehen. Deshalb sind unsere Führungen und Vorträge keine „Blümchen-Shows“.
Ein Naturgarten braucht ein Vorbild, an dem er sich orientieren kann. Unser Vorbild ist die Wildnis in einer Zeit, als noch große Pflanzenfresser wie Wildrinder oder Wildpferde äußerst artenreiche Halboffenlandschaften gestalteten und noch nicht auf der Weide oder im Stall standen. Darum geht es auch in unseren Führungen.
Ihr habt aber keine Kühe im Garten, oder?
Oliver: Nein, eine extensive Beweidung, wie sie für die Artenvielfalt optimal wäre, entspräche einer halben GVE (Großvieheinheit, als Rind oder Pferd) pro Hektar. Heruntergerechnet auf unseren Naturgarten wären das etwa 1/6 Rind. Nachdem Rinder soziale Tiere sind, bräuchten wir aber zwei 1/12 Rinder. Geht natürlich nicht.
Daher setzen wir auf ein eigenes Mahdkonzept mit folgenden Bestandteilen:
Überjähriges Stehenlassen von Wiesenteilen sowie der Staudenbeete, wichtig für die Entwicklung vieler Insekten über den Winter
Lichtstellung im Juni / Juli, als Chance für nicht so durchsetzungsstarke Pflanzen
Mosaikmahd im Oktober gegen die Verbuschung
Beweidungssimulation über die Vegetationsperiode (hier werden von Mai bis September immer wieder kleinere Bereiche schonend gemäht)
Mosaikmahd mit stehengelassenen Säumen
Mahd mit der Streuobstsense, wir nutzen aber auch eine umfunktionierte, gewerbliche Teleskop-Heckenschere als Mini-Balkenmäher
Was sieht das Ergebnis aus?
Oliver: Wir haben wieder an der Tausende Gärten – Tausende Arten (TGTA) Insektenschutz-Challenge mitgemacht und Insektenarten und Spinnen gezählt: Von April bis Mitte September haben wir nur in unserem Garten 615 Insekten- und Spinnenarten mit Bild dokumentiert. Darunter 105 Käferarte, 75 Wildbienenarten, 115 Fliegen- und Mückenarten oder 114 Tag- und Nachfalterarten. Das ist doch schon was, oder?
Daneben haben wir bei „Deutschland summt!“ 2023 und 2022 den ersten Platz geholt, 2021 den zweiten Platz. Bei #beebetter des Burda-Verlags haben wir im letzten Jahr den zweiten Platz gewonnen. Auch der in Baden-Württemberg sehr angesehene 33. Zwiefalter Naturfonds Wettbewerb 2021/2022 ging an uns, ebenso wie die sowie die TGTA Insektenschutzchallenge 2022.
Ihr habt sämtliche Elemente umgesetzt, die man üblicherweise im insektenfreundlichen Garten findet. Ist der Status Quo zukünftig noch zu toppen? Habt ihr konkrete Ideen?
Oliver: Klar, da geht noch viel mehr. So arbeiten wir kontinuierlich daran, die Artenvielfalt der Flora zu erhöhen und berücksichtigen dabei auch besonders Pflanzen, auf die einzelne eher seltene Insektenarten angewiesen sind, so z.B. Hornklee für den Hornkleeglasflügler oder die Kornwicken als Raupenfutterpflanzen für die zwei Widderchen-Arten, die in unserem Garten inzwischen heimisch sind.
Im letzten Monat kamen noch ein neuer kleiner Teich dazu und eine simulierte Geilstelle. Als Geilstelle werden auf Weiden Bereiche bezeichnet, in denen Weidetiere wie Rinder oder Pferde bevorzugt ihren Dung absetzten. Dung ist Lebensgrundlage für Käfer, Fliegenarten, Milben, Springschwänze, Regewürmer und vieles mehr. Alleine über 100 heimische Käferarten leben im oder vom Dung. Wir haben hierzu auch einen Blogbeitrag veröffentlicht: https://www.naturgarten-langenau.de/geilstelle
Habt ihr alles ein Eigenregie durchgeführt?
Oliver: Ja, vollständig.
Ihr arbeitet seit über 10 Jahren daran. Hattet ihr von Beginn an eine Vorstellung eures zukünftigen Gartens und konsequent daran festgehalten?
Oliver: Nur zum Teil. Wir hatten anfangs natürlich noch nicht das Wissen das wir heute haben. Einen großen Schub hat uns die Mitgliedschaft im Naturgarten e.V. gebracht, da gibt es Leute die echt was draufhaben, z.B. Ulrike Aufderheide oder Reinhard Witt. Seit etwa 2-3 Jahren setzen wir uns mit dem Thema Wildnis und damit ein Stück weit mit Evolutionsbiologie auseinander, wir denken, es ist wichtig zu verstehen, welches Vorbild wir für unseren Garten überhaupt verfolgen. Das brachte uns einen riesigen Schritt weiter.
Ihr seid keine Biologen, woher nehmt ihr euer Wissen?
Oliver: Wir haben jetzt über 10 Jahre Erfahrung und schauen gut hin. Das reicht allerdings nicht. Wir sind gut vernetzt, u.a. im Naturgarten e.V., mit den Entomologen der DGaaE, dem BUND, dem LBV und der AG Donausmoos Langenau.
Darüber hinaus hat uns das Insektenmonitoring viele Erkenntnisse gebracht: Einerseits ist es fast so wie Pokemon spielen, auf der anderen Seite setzt man sich immer wieder mit „neuen“ Arten auseinander und lernt etwas über deren Anforderungen an ihren Lebensraum dazu.
Was könnt ihr Interessierten empfehlen?
Oliver: Wir kommen auf eine recht einfache Formel für den Naturgarten:
„Biodiversität braucht Pflegediversität“.
Also etwas schneiden, etwas stehenlassen, verschiedene Strukturen schaffen, verschiedene Materialien, wie Holz, Steine, Erde, Sand oder Wasser einsetzen und eine ganze Menge an unterschiedlichen einheimischen Wildpflanzen pflanzen. Achtet dabei immer auf das Vorbild - einer lichtdurchfluteten halboffenen Landschaft. Hier ist die Artenvielfalt am Größten.
Einer der besten Informationsquellen dazu ist aus unserer Sicht der Naturgarten e.V., aber auch auf unserer Website www.naturgarten-langenau.de findet ihr immer wieder viel Lesenswertes zum Nachmachen und Ausprobieren. Auf Instagram findet ihr uns unter naturgarten_langenau (Lisa) sowie unter naturgarten_ranger (Oliver).
Übrigens: Alles was wir machen, funktioniert auch im ganz kleinen Garten.
Schlussfrage: Gibt es im Nachgang betrachtet etwas, das ihr heute anders machen würdet?
Oliver: Wir würden rückwirkend betrachtet wahrscheinlich keine Weidegrasmischung mit vier oder fünf Gräsern aussäen, sondern wären gleich sehr viel diverser vorgegangen. Das holen wir jetzt halt nach.