Ralf Dahlheuser

Ralf Dahlheuser

Ralf Dahlheuser aus der Nähe von Kürten im Bergischen Land ist ein leidenschaftlicher Autodidakt in den Bereichen Entomologie und Mykologie. Seit über 50 Jahren erforscht er Insekten, Pilze und ihre Ökosysteme. Seine Expertise in der Kartierung dieser Arten macht ihn zu einem geschätzten Berater bei örtlichen Biostationen und der Naturschutzbehörde.

Interview

Hallo Ralf, kannst du dich kurz vorstellen?

Mein Name ist Ralf Dahlheuser und ich wohne in der Nähe von Kürten im Bergischen Land. Baujahr 1959, widme ich mich nun seit über 50 Jahren der Erforschung von Insekten und Pilzen. Dabei ist es unausweichlich, dass man sich auch mit den dazugehörigen Ökosystemen beschäftigt und so Wissen anreichert, das über die eigentlichen Kernthemen hinaus geht. 

Ich bin ein so genannter „Feldentomologe und -mykologe“, will heißen Autodidakt ohne Studium. Damit gehöre ich zu der leider aussterbenden Gruppe von Artenkennern, denen wir weit über 90% des heutigen Wissen über die Natur zuschreiben können. Ich kartiere Insekten und Pilze meiner Heimat, bin manchmal beratend bei der örtlichen Biostation und der Unteren Naturschutzbehörde tätig.

Was sind Artenkenner und warum sterben die aus?

Artenkenner sind Menschen, die den größten Teil ihrer Freizeit damit verbringen, sich bestimmten Bereichen der Natur zu widmen und in diesen Bereichen über Jahre und Jahrzehnte einen großen Wissensschatz erwerben. Manche widmen sich zeitlebens nur einer einzigen Gattung oder Familie. Sie veröffentlichen Fachpublikationen und/oder arbeiten auch mit Museen, Vereinen oder der öffentlichen Hand zusammen. Sie entdecken und beschreiben neue Arten oder berichtigen/ergänzen überalterte Nomenklatur.

Diese Artenkenner sterben aus, weil es an Nachwuchs fehlt. Kinder und Jugendliche sind heute nur schwer für diese Beschäftigung zu interessieren. Auch hat leider der Individuenschutz des Bundesnaturschutzgesetzes und des Naturschutzgesetzes negativen Einfluss auf diese Entwicklung, weil es Kindern heute nicht mehr erlaubt ist, z.B. Insekten zu sammeln. Oft wird die Meinung vertreten, es reiche aus bei Kindern durch bloßes zeigen und/oder Fotos und Vorträge für eine intensive Beschäftigung als zukünftigen Artenkenner zu gewinnen. Die Realität zeigt, dass das nicht funktioniert. Bedenkt man, dass wir von einem großen Teil unserer Insekten immer noch nicht genug wissen, dass es sehr viele Arten, gibt die noch nie beschrieben wurden - von deren Existenz wir also noch gar nichts wissen und die aussterben werden bevor wir sie kennen - ist das sehr bedenklich. 

Wie bist du zum Thema „Naturgarten“ gekommen?

Auch über die Insekten und Facebook. Auf Facebook habe ich des Öfteren Bestimmungsanfragen über Insekten in verschiedenen Gruppen beantwortet. So auch in der Gruppe „Naturgartenforum“. Dort habe ich schnell gemerkt, dass in der Naturgartenbewegung neben viel Gutem Willen auch ein großer Bedarf an speziellem Wissen über Insekten besteht. So bin ich quasi in diese Gruppe hineingeschlittert. Dabei ist mir aber auch die Bedeutung von Naturgärten erst so richtig klar geworden. 

In unserer zersiedelten und durch intensive Landwirtschaft zerhackten Landschaft, sind Naturgärten wesentliche Trittsteine und Ergänzungen zu Verbundlinien die noch bestehende Biotope und Naturräume miteinander vernetzen.

Dazu ist es aber wichtig, dass diese Naturgärten auch in geeigneter Form angelegt werden. Und dazu wiederum ist das Wissen über Lebensgrundlagen und -bedingungen unserer Insekten unentbehrlich. Auch ist mir wichtig, den Menschen nahe zu bringen, dass unsere Verantwortung für die Natur nicht am Gartenzaun endet, sondern unsere Tätigkeiten weit darüber hinaus Wirkung haben. Sei es positiv, in dem wir Lebensräume schaffen. Sei es negativ, wenn wir invasive Neophyten pflanzen.

Über dieses Naturgartenforum bin ich dann auch beim Naturgarten e.V. gelandet, der wichtige und hervorragende Arbeit leistet.

Du sagst von dir aus, dass du „nicht der Gartentyp“ bist.
Wie sieht denn dein Garten aus?

Mein „Garten“ ist im Grunde keiner, sondern ein kleiner Biotop.

Außer einer alten Magnolie und einem Roseneibisch (Relikte im Gedenken an meine Mutter) wächst dort nur, was sich von selbst angesiedelt hat, sowie ein paar Arten deren Samen ich aus der unmittelbaren Umgebung eingetragen habe. 

Außer einer kleinen Rasenfläche (würden viele auch nicht als „Rasen“ bezeichnen) für die Hunde darf bei mir zunächst einmal alles wachsen. 

Ralf Dahlheuser (Ralf Da)

Teile der Rasenfläche bleiben stehen und werden im Wechsel gemäht

Ein ca. 200 m² großes Stück habe ich als Wiese entstehen lassen, die nur zweimal im Jahr in Staffelmahd gemäht wird.

Ralf Dahlheuser (Ralf Da)

Wiesenfläche mit ca. 30 Pflanzenarten auf 4 m²

Da befindet sich auch ein großer Totholzhaufen der mit Reisig und Laub abgedeckt ist. Neben vielen Insekten finden dort auch Igel und Mauswiesel Unterschlupf. 

Ralf Dahlheuser (Ralf Da)

Teil der Wiesenfläche mit totem Obstbaum und Totholzhaufen

Da ich auch hier kartiere, konnte ich bisher über 160 Insektenarten in meinem Garten dokumentieren.

Wenn ich sage: „Bei mir darf erstmal alles wachsen“, stimmt das nur bedingt. Natürlich muss ich auch eingreifen, wenn eine Art überhandnimmt und andere verdrängt.

Dazu gehört auch ein immerwährender Kampf gegen invasive Neophyten wie z.B. das Berufkraut, welches durch Samenflug immer wieder eindringt. 

Auch wenn so ein „Garten“ unordentlich aussieht als würde man aus Faulheit einfach alles wachsen lassen, macht es nicht grade wenig Arbeit. Bunte Blümchen in Hülle und Fülle, Staudenbeete und sonstige für das menschliche Auge „schöne“ Gartenelemente findet man hier nicht. Für das Auge der Insekten scheint es aber extrem anziehend zu sein.

Würdest du, wenn du alle Ressourcen der Welt hättest, etwas in deinem Garten anders machen?

Eigentlich nicht viel.

Wenn mit Ressourcen auch Geld gemeint ist, würde ich mich in einem bequemen Sessel - mit ein paar Snacks und einem Kaltgetränk - auf der Terrasse fläzen und einer Gruppe von gut bezahlten Helfern Anweisungen geben, was hier und da wie zu tun ist. 

Nach dem Pareto Prinzip:
Was sind die 5 besten und einfach umzusetzenden Tipps für Gärtner, die einen größtmöglichen Einfluss zur Schaffung von Lebensraum haben?

1.) Nur heimische (sprich Archäophyten) pflanzen oder säen, die auch in der Umgebung wild vorkommen.

2.) Totholz. Nicht als freistehendes Dekoelement, sondern an einem schattigen oder halbschattigen Platz so aufgeschichtet, dass es schön vermodern kann. Darf auch ruhig mit Reisig oder Laub, zumindest teilweise, abgedeckt sein.

3.) Mindestens 60% Gräser verschiedener Süßgrasarten. 30% Krautige Pflanzen und der Rest darf auch aus blühenden Stauden bestehen. Raupen- und Larvenfutter ist wesentlich wichtiger als Nektarpflanzen.

4.) Unordnung zulassen. Entlang von Mauern und Zäunen nicht alles kantenrein entfernen. Geduld haben und beobachten, was passiert.

5.) Nicht mulchen. Mulch bringt zusätzliche Nährstoffe ein und fördert die Starkzehrer. Auf gemulchten Flächen finden erdnistende Wildbienen kaum die Möglichkeit, Niströhren anzulegen. Mulch unterdrückt zudem das Wachstum der so wichtigen Beikräuter. Dafür muss man dann natürlich ab und an Bewuchs entfernen um offenen Boden zu erhalten.

Wie erreiche ich es, aus einem bestehenden Ziergarten ein Ökosystem zu schaffen?

Das ist eigentlich eine Abhandlung für sich. Im Prinzip sollte ein Naturgarten ein sich weitgehend selbsterhaltenes System bilden. In einem solchen (Öko)sytem stehen alle vorhandenen Organismen in Interaktion miteinander. Es besteht aus Symbionten, Saprobionten, Parasiten, Freßfeinden und allen möglichen Kleinstorganismen. Es ist permanenter Veränderung unterworfen, also nicht statisch. 

Man kann so ein kleines Ökosystem auch nicht schaffen im Sinne von anlegen oder bauen. Man kann nur die Voraussetzungen schaffen und muss dann viele Jahre Geduld haben. Das kann man erreichen, wenn man die oben beschriebenen 5 Punkte berücksichtigt.

Kann jeder so etwas machen?

Ja und Nein. Ja, wenn man keine Kompromisse eingehen muss und sich von Schöhnheitsgedanken befreien kann. Ich bin in der glücklichen Lage, dies weitestgehend zu tun. Dennoch wird fast jeder Naturgarten mit Kompromissen leben müssen. Seien es Familienanghörige, Nachbarn (die Thujahecke meines Nachbarn an der Grundstücksgrenze passt mir so gar nicht), Vermieter, Haustiere oder sonstige äußere Einschränkungen.

Natürlich kommen auch emotionale Punkte zum Tragen, wie bei mir z.B. die Magnolie oder der Roseneibisch meiner verstorbenen Mutter. In wie weit man sich dem Ideal annähern kann, ist von vielen subjektiven Faktoren abhängig.

Aber, es muss ja nicht perfekt sein. Auch ein Anfang oder ein Teilbereich ist gut

Du bist mit deinem Wissensstand vielen voraus.
Was sind deiner Meinung nach die besten Möglichkeiten, sich zum insektenfreundlichen Gärtnern zu informieren?

Naja, du würdest dich wundern, was ich alles nicht weiß.
Neben einer intensiven Beschäftigung mit den Lebensgewohnheiten und Ansprüchen unserer Insekten muss man die richtigen Quellen anzapfen. Und das ist nicht so einfach, werden wir doch im Internet von einer Flut an Vorschlägen, Ideen und Meinungen überflutet. 

Im Grunde kann ich nur empfehlen sich den Naturgarten e.V. anzuschließen oder zumindest dort Informationen einzuholen. Da finden Einsteiger wie Fortgeschrittene gute und richtige Tipps.

Dann natürlich über unsere Facebook-Gruppe „Naturgarten“ die ja ein Ableger des Naturgartenvereins ist.

Hinsichtlich der Pflanzenauswahl wird oft Floraweb empfohlen, aber da muss man vorsichtig sein und die Daten dort richtig interpretieren.
Auch wenn das jetzt vielleicht nach einem abgekarteten Spiel klingt...NaturaDB ist hinsichtlich der Wahl der Pflanzen die zur Zeit beste Datenbank. Vielleicht nicht perfekt, aber das ist bei der Komplexität und dem Umfang der Sache auch gar nicht möglich.

Gibt es Personen aus dem (Natur- ) Gartenbereich, deren Arbeit dich besonders beeindruckt?

Ja, die gibt es. Neben vielen Spezialisten aus den Bereichen Entomologie und Mykologie möchte ich vor allem Ulrike auf der Heide erwähnen. Eine Dame die für ihr Wissen und Engagement meinen allergrößten Respekt hat.
Prof. Dr. Werner Kunz, früher an der Uni Düsseldorf, möchte ich auch nicht vergessen.
Ganz besonders aber Frau Ute Köhler, die sich unheimlich für den Lebensraum Wiese und naturgärtnerische Aspekte einsetzt. Man findet sie in der Facebookgruppe „Lebensraum Wiese“. Sie ist für mich eine Galionsfigur des persönlichen Engagements in diesen Angelegenheiten.
Sicher gibt es noch weitere Personen die zu erwähnen angebracht wären, aber diese drei sind für mich hervorstechend.

In gemeinsamen Gesprächen kommen wir immer wieder auf die Erkenntnis, dass die Datengrundlage in vielen Bereichen sehr schlecht oder nicht ausreichend erforscht ist. Woran liegt das und hast du einen Ansatz, wie der Zustand verbessert werden könnte?

Ich hatte zuvor schon auf die Artenkenner hingewiesen. Fakt ist, dass die allermeisten Daten aus deren Arbeit stammen. Sei es durch Kartierungsarbeiten, Forschung oder Publikationen. 

Aus den Reihen der akademischen Wissenschaft hatten und haben wir nicht viel zu erwarten. Das ist keine Herabsetzung, aber in deren Berufsleben ist kaum Platz für solche Arbeit. Öffentliche Studien dauern meist Jahre bis zur Veröffentlichung, wenn sie denn überhaupt einem breiten Publikum zugänglich sind. Öffentlich Gelder oder gar entsprechende Berufswege mit denen man seinen Lebensunterhalt bestreiten kann sind mehr als dünn gesät.

Leider sehe ich keine realistische Chance für eine Verbesserung. Theoretisch wäre die einzige Alternative, die Jugend dafür zu begeistern. Das scheitert aber, wie schon gesagt, am Individuenschutz unserer Gesetze, aber auch an gesellschaftlichen Animositäten gegen das Fangen uns Sammeln von Insekten. Natürlich muss es auch dafür gewisse Regeln geben, aber es müsste unbürokratisch möglich sein. Dann könnten wir zukünftig neue Generationen von Artenkennern gewinnen, die dann wiederum helfen, bessere Datengrundlagen zu erarbeiten.
Eine gewisse Verbesserung kann sich auch aus dem sog. Citizen Science

ergeben. Dank der Fortschritte in der Digitalfotografie und der „Künstlichen Intelligenz“ kann jeder, auch völlige Laien, mithelfen Daten zu sammeln. Entsprechende Seiten sind Naturgucker.de oder Observation.org

Hast du zum Schluss noch eine Lieblingspflanze für uns?

Natürlich. Meine Lieblingspflanze ist die Espe. Es mag Arten geben die noch mehr Insekten als Grundlage dienen, aber an der Espe mache ich meine besten und häufigsten Funde. Zudem finde ich das Spiel ihrer Blätter im Wind immer wieder faszinierend.