Was ist Wein-Raute?
Die Wein-Raute, Garten-Raute, Augen-Raute oder Weinkraut (Ruta graveolens) aus der gleichnamigen Familie der Rautengewächse (Rutaceae) stammt ursprünglich aus dem Mittelmeerraum, wo sie nur regional und vor allem im Süden Kleinasiens auftritt, wie auch am Schwarzen Meer auf der Krim und in Bulgarien. Als ehemals beliebte Heil- und Gewürzpflanze findet man sie in unseren Gärten nur noch selten, und in der freien Natur wächst sie zerstreut, aber gesellig an Ruderalstellen, auf Weinbergen, Felsen, Mauern und Ruinen ausgewildert.
Bei der Wein-Raute handelt es sich um einen ausdauernden rundlichen, 30-60 Zentimeter hohen, nur in den unteren Anteilen schwach verholzenden Strauch mit einer holzigen Wurzel und aufrechten verzweigten und im Querschnitt runden Stängeln. Die zarten wechselständig stehenden Blätter sind unpaarig 2-3-fach gefiedert mit wiederum fiederteiligen verkehrt-eiförmigen Abschnitten, die mit ihrer charakteristischen Form und durch eine dicke Schicht aus Wachs blaugrünen Farbe ebenso unverwechselbar sind wie der typische Geruch des ätherischen Öls. Hält man sie gegen das Licht erkennt man zahlreiche durchscheinende punktförmige Öldrüsen. Die Blätter werden 11-13 Zentimeter lang und haben einen dreieckigen Umriss und eine leicht fleischige Konsistenz, Nebenblätter sind nicht vorhanden.
Die zahlreichen im Sommer erscheinenden Blütenstände der Wein-Raute sind wenigblütige Scheindolden; ihre geruchlosen trübgelben becherförmigen, 12-18 Millimeter breiten Blüten sind mit Ausnahme der meist fünfzähligen Endblüten (!) vierzählig mit doppelter Blütenhülle und zwittrig. Besonders auffällig ist die ungewöhnliche Form der Kronblätter, die kapuzenförmig wie kleine Löffel mit kurzem Stiel geformt sind, nur dass ihr Rand gezähnt und gewellt erscheint. Sie werden um ein Weniges von den acht oder zehn Staubblättern überragt, und im Inneren der Blüten steht ein breit kugeliger oberständiger Fruchtknoten. Aus diesem entwickelt sich eine verholzende braune, etwa einen Zentimeter große kugelige Kapsel mit vier beziehungsweise fünf Fächern, die sich an der Spitze mit Klappen öffnet und die nierenförmigen Samen freigibt. Typisch für die Kapselfrüchte sind die zahlreichen Öldrüsen auf der Oberfläche, die ihnen ein warziges Aussehen verleihen.
Wein-Raute im Garten
Standort
Da die Wein-Raute an ihren natürlichen Standorten vor allem felsige und eher trockene Untergründe bevorzugt sollte man auch ihre Heimat im Garten ähnlich gestalten – etwa auf einem steinigen Boden wie einer Mauer oder dem Steingarten. Das gut durchlässige Substrat kann mager sein, darf aber ruhig einiges an Stickstoff enthalten, der Stand ist vorzugsweise warm und sonnig und darf im Sommer auch heiß und trocken werden. Die Wein-Raute ist zwar einigermaßen winterhart, aber in kälteren Regionen sollte man auf etwas Winterschutz für das Kraut vom Mittelmeer achten, etwa indem man etwas Laub oder Reisig anhäufelt.
Schnitt
Ein Schneiden ist bei der Wein-Raute eigentlich vor allem zum Ernten erforderlich. Die Blätter verwendet man am besten frisch und erntet davon so viel wie man gerade benötigt. Willst Du sie in Form bringen, dann tue das vorzugsweise im Frühjahr oder nach der Blüte. Dazu werden die abgeblühten Triebe auf 2-3 Zentimeter auf das alte Holz zurückgeschnitten. Beim Hantieren sollten empfindliche Menschen Handschuhe tragen, denn die Inhaltsstoffe sind nicht ganz ohne und können Hautreizungen hervorrufen.
Vermehrung
Die Blätter haben ein ausgesprochen kräftiges Aroma – wer Ruta vor allem als Gewürz und als Heilpflanze in den Garten bringen möchte braucht daher nur wenig Material, sodass es vollkommen ausreicht, eine einzelne Wein-Raute zu kaufen. Soll es später doch etwas mehr sein kannst Du die kleinen Hecken teilen oder halbverholzte Triebstecklinge abnehmen und bewurzeln. Ebenso kann man die Samen zur Aussaat verwenden, vorzugsweise im Frühjahr und in Töpfen vorgezogen. Für eine einzige Pflanze rechnet man 40 Zentimeter Platz.
Verwendung
Als Heilpflanze und Gewürzpflanze ist die Wein-Raute prädestiniert für den Kräutergarten, Apothekergarten, Bauerngarten und Steingarten, sie lässt sich aber auch zur Begrünung von Mauern und trockenen Hängen einsetzen.
Schädlinge
Im Großen und Ganzen halten die ätherischen Öle der Wein-Raute die meisten Schädlinge und Krankheiten vom Leib. Allerdings kann die Phytophthora-Wurzelfäule für Probleme sorgen, vor allem bei zu feuchtem Stand.
Ökologie
Die kleinen unverwechselbaren Blüten der Wein-Raute präsentieren ihren Pollen und den von einem auffälligen Ring abgesonderten Nektar völlig unversteckt, sodass hier auch die kurzrüssligen Fliegen und Schwebfliegen zu ihrem Büffet kommen. Daneben können sie sich auch selbst bestäuben, falls die tierische Hilfe ausbleibt.
Einer der prominentesten Besucher der Wein-Raute ist der Schwalbenschwanz (Papilio machaon), einer unserer bekanntesten Tagfalter. Als Raupenfutter können auch der nahe verwandte Diptam oder Möhre, Bärwurz, Fenchel und andere Doldenblütler dienen. Die 4-5 Zentimeter langen unbehaarten, grünen mit schwarz und orange Querbinden gezeichneten Raupen zeigen ein einzigartiges Abwehrverhalten, indem sie eine extrem unangenehm riechende, leuchtend orange Nackengabel ausfahren, sobald man sie ärgert.
Wissenswertes
Raute und Diptam
Zur näheren Verwandtschaft der Wein-Raute gehört der ebenfalls zu den Rautengewächsen zählende Diptam (Dictamus albus), der ebenfalls reichlich ätherische Öle enthält und eine ebenso alte Heil- und Gewürzpflanze darstellt. Bei Ihm sind die Blätter allerdings einfach gefiedert und riechen deutlich nach Zitrone, und die Blüten stehen in Trauben.
Wein-Raute als Gewürz der mediterranen Küche – und in der Aalsuppe
Die Blätter der Wein-Raute sollte man in der Küche nur sehr sparsam verwenden, denn sie haben ein sehr ausgeprägtes und deutlich bitteres Aroma. In der mediterranen Küche findet sie vor allem bei Lammgerichten, aber auch bei Salaten, Saucen und Eintöpfen Verwendung. In der deutschen Küche gibt es allerdings ein Gericht, bei dem die Wein-Raute nicht fehlen darf: Hamburger Aalsuppe. Früher verwendete man die Pflanzen auch zum Aromatisieren von Wein – daher auch die Namen Weinraute und Weinkraut und die Vorkommen in den Weinbergen.
Ruta graveolens als Heilpflanze
Als Heilpflanze war die Wein-Raute im Mittelalter aus den Klostergärten ebenso wenig wegzudenken wie aus den zahlreichen Kräuterbüchern dieser Zeit. Vermutlich haben erst die Benediktinermönche sie über die Alpen gebracht und bei uns eingeführt. Hildegard von Bingen widmet ihr ein Kapitel, in dem sie die frischen Blätter gegen eine Reihe von Krankheiten empfiehlt – so den Saft gemischt mit Honig und Wein zum Tränken von Brot, das man gegen Grauen Star nachts auf die Augen binden soll (daher auch der Name Augenraute) oder eine Salbe mit Raute, Wermut und Bärenfett gegen Nieren- und Unterleibsschmerzen. Heute verwendet man die Wein-Raute wegen ihrer Giftigkeit nur noch selten in der Naturheilkunde. Die Pflanzen enthalten ätherisches Öl, Gerbstoffe, Alkaloide, Furanocumarine und Rutin. Rautentee gilt als leicht sedativ, krampflösend und diuretisch und regt den Appetit an. Schwangere dürfen ihn auf keinen Fall trinken, denn er kann eine Fehlgeburt auslösen!
In der Homöopathie bereitet man aus der frischen, vor der Blütezeit gesammelten Wein-Raute eine Urtinktur, die man verdünnt oder zu Ruta graveolens-Globuli verarbeitet gegen Augenentzündungen, Prellungen, Quetschungen und Zerrungen wie auch gegen rheumatische Beschwerden, Gicht und Krampfadern einsetzt.
Sebastian Kneipp empfahl die Raute in Form von Rautentee zudem gegen Appetitlosigkeit, Schwindel, Magenschmerzen und Menstruationsbeschwerden.
Vorsicht, Gift!
Die Menge macht, dass ein Ding ein Gift sei – der Spruch des Paracelsus gilt auch für die Weinraute, die als schwach giftig einzustufen ist und nur wohldosiert zum Einsatz kommen sollte. Bei übermäßigem Verzehr können die Weinrautenblätter Verdauungsprobleme und Unwohlsein hervorrufen; die Inhaltsstoffe lassen die Zunge anschwellen und lösen erhöhten Speichelfluss aus. Auf der Haut erweisen sie sich vor allem bei sonnigem Wetter als photosensibilisierend, ähnlich wie Herkulesstaude und Johanniskraut. Die dadurch hervorgerufene Photodermatitis zeigt ähnliche Symptome wie ein Sonnenbrand und ist auf Furanocumarine zurückzuführen. Bei empfindlichen Personen reicht es dabei aus, einige Blätter zu pflücken. Vorsicht ist also durchaus geboten.
Was sind mehrjährige Stauden?
Mehrjährige Stauden bleiben über viele Jahre erhalten. Den Winter überdauern sie eingezogen in Wurzeln, Zwiebeln oder anderen unterirdischen Speicherorganen und treiben im nächsten Frühjahr wieder aus.
Markus Wichert
Naturgärtner